

Erste Hilfe Kurs am Baby – Dieser Online-Kurs zeigt die wichtigsten Grundlagen
Kommt es mit dem Baby zu einem Notfall, darf nicht lange überlegt werden. Doch viele Eltern haben Angst am Säugling erste Hilfe zu leisten. Ein Online-Kurs kann diese Blockade brechen.
Eltern bereiten sich auf vieles vor während der Schwangerschaft, doch was in einem Notfall zu tun ist, steht viel zu selten im Fokus. Dabei dauert es in Deutschland im Schnitt ganze 12 Minuten, bis ein Rettungswagen eintrifft. Zeit, in der viel passieren kann … Die beiden Ärzte und Rettungsmediziner Annalena und Lukas Dehé haben darum einen Erste-Hilfe-Videokurs entwickelt. Das Besondere daran ist nicht nur, dass man individuell und zu selbstbestimmten Zeiten die wichtigsten Dinge erlernen kann, bevor der kleine Familienzuwachs ins Haus kommt. Geübt wird außerdem an einer Puppe, die den Maßen eines Babys entspricht. Für die Notfallmediziner, die selbst Eltern von Zwillingen sind, ist das Projekt eine Herzensangelegenheit.
Frau Dr. Dehé, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Online-Erste-Hilfe-Kurs speziell für Babys zu entwickeln?
Dr. med. Annalena Dehé: Mein Mann und ich sind Ärzte und haben eine Zusatzausbildung in Notfallmedizin. Wir wurden oft angesprochen im Freundes- und Bekanntenkreis, vor allem als wir selber Eltern wurden. Auch Anrufe in Notfällen bekamen wir oft oder man hat uns Fotos geschickt von kleinen Verletzungen der Kinder und um Rat gebeten. Aufgrund der Häufigkeit hatten wir uns überlegt, einen Online-Kurs zu entwickeln – aber mit praktischen Übungen, weil es das ist, worauf es wirklich ankommt. Es reicht nicht, nur theoretisch etwas über Notfallversorgung zu wissen, man muss es auch üben. Also war klar: Wir wollen einen Kurs machen, der beides vermittelt, die Theorie und die Praxis. Wir haben recherchiert, wie man an eine Reanimationspuppe herankommt, denn die braucht man, um das Ganze richtig üben zu können. Tatsächlich haben wir eine Firma gefunden, die diese Puppen herstellt und die es bis dahin noch gar nicht gab in Deutschland.

Jetzt bieten Sie also unter 12minutes.de einen Onlinekurs an. Was wollen Sie jungen Eltern vermitteln?
Der Kurs beinhaltet die wichtigsten Grundlagen der Ersten Hilfe beim Baby, umfasst aber noch etwas mehr. Also zum Beispiel: Wie versorge ich eine kleine Schnittwunde oder wie gehe ich mit einem Baby um, das Bauchweh hat, wie muss ich mich verhalten bei Ohrenschmerzen, ab wann muss ich dann zum Arzt oder ins Krankenhaus mit dem Kind? All das haben wir in fünf Module unterteilt.
Macht man den Kurs, wenn das Baby schon da ist, oder besser vorher, also während der Schwangerschaft?
Jeder, der Kinder hat, weiß, dass die Zeit knapp ist, wenn das Baby erst einmal da ist. Ich würde also dringend dazu raten, das schon voher zu machen. Das Gute ist, dass man sich den Kurs aufteilen und flexibel bestimmte Einheiten wiederholen kann. Vor allem das Grundlagenkapitel sollte man sich jedoch in jedem Fall vor der Geburt ansehen. Bestenfalls macht man den Kurs im letzten Schwangerschaftsdrittel. Auch Eltern, die so einen Erste-Hilfe-Kurs noch nie gemacht und vielleicht schon eine Notfall-Situation mit ihrem größeren Baby oder Kleinkind erlebt haben, würde ich zu dem Kurs raten. Wenn dann beim nächsten Mal etwas passiert – und mit Kindern im Haus passiert ja ständig irgend etwas –, wissen sie, wie sie sich verhalten können.
Der Ersten Hilfe steht oft die Unsicherheit, Angst und Nervosität der Eltern entgegen. Was raten Sie als Notfallmedizinerin. Denn manchmal muss man ja doch beherzt und schnell zupacken?
Ja, da ist immer diese Angst: Oh Gott, ich kann etwas falsch machen bei meinem Kind! Man möchte ja keinen Schaden anrichten. Aber wenn man auf ein paar Dinge achtet, dann kann man relativ wenig falsch machen.
Gehen wir über ins Praktische: Kinder verschlucken sich gerne mal. Was kann man da tun?
Bei Essanfängern beginnt es schon mit der richtigen Sitzposition. Das Kind muss fest und gerade sitzen und es muss die Füße aufstützen können. Aus einem festen Sitz heraus kann es auch besser husten, sollte es sich wirklich verschlucken. Hustet ein Kind in einem unbeobachteten Moment beim Spiel oder so, dann muss man unbedingt aufmerksam werden. Das Schlimme ist nämlich, dass Verschlucken oder Ersticken auch ganz still erfolgen kann. Gerade beim Einführen der Beikost gilt als absolute Regel, dass man immer eine Armlänge vom Kind entfernt ist und das Kind beim Essen nie unbeobachtet lässt. Auf keinen Fall sollte man den Essplatz verlassen, auch nicht kurz, damit man immer und schnell reagieren kann.

Und wie sieht die Erste Hilfe beim Verschlucken konkret aus?
Beim Verschlucken gibt es dann zwei Möglichkeiten. Einmal die kontrollierten Schläge oder Klopfer auf den Rücken. Bei Kindern unter einem Jahr stützt man dabei noch gleichzeitig den Kiefer ab, denn der Kopf ist noch sehr groß und die Gefahr besteht, dass die Kleinen sonst ein Schleudertrauma bekommen. Bei größeren Kindern, also mindestens über einem Jahr, würde man das „Heimlich-Manöver“ durchführen. Dabei steht oder kniet man hinter dem Kind, legt die Faust zwischen Bauchnabel und Brustbein, umgreift mit der anderen Hand diese Faust und zieht nach hinten oben. Durch den Druckaufbau im Brustkorb soll das, was sich dort festgesetzt hat, gelöst werden. Das Heimlich-Manöver darf man bei Babys oder Säuglingen nicht durchführen, denn da könnte man viel zu viel kaputt machen, innere Organe verletzen und Schlimmeres.
Das heißt, das Wissen, das man so hat als Erwachsender, ist bei Babys gar nicht anwendbar?
Genau, vieles davon lässt sich nicht eins zu eins umsetzen bei Säuglingen und kleinen Kindern. Auch das muss man wissen.
Eltern sind manchmal aus Nervosität wie gelähmt. Wie soll man sich in einer Paniksituation verhalten?
Wenn man sich selbst nicht traut oder einfach nicht kann, weil man so erschrocken ist, sollte man Hilfe organisieren. Also den Partner alarmieren, der die Situation vielleicht nicht mitbekommen hat. Oder das Kind schnappen und zum Nachbarn rennen, wenn man weiß, da ist eine gewiefte Mutter, die vielleicht auch schon zwei kleine Kinder hat oder hatte. Wenn man gar nicht mehr weiter weiß, dann immer die 112 wählen, denn hier trifft man auf medizinisch geschultes Personal, das übers Telefon Anweisungen und Anleitungen geben kann. Diese Leute sagen einem ganz genau, was man machen soll und wie man es macht. Wir haben hier in Deutschland zum Glück ein gut funktionierendes Rettungswesen.
Hinfallen ist auch ein Thema: Das Hochstühlchen kippt um, das Kleine fällt unglücklich oder purzelt aus dem Bett… Ab wann sollte man ins Krankenhaus? Woran merke ich, dass es eine Gehirnerschütterung ist?
Verschiedene Anzeichen können einem da helfen. Zuerst muss man in einer solchen Situation unterscheiden: Ist das Kind wirklich auf den Kopf gestürzt, sieht man eine Prellmarke oder eine Beule, einen blauen Fleck, eine Schnittverletzung? Bei einem Sturz aus einer Höhe, die der doppelten Körpergröße entspricht, muss man wirklich aufpassen und schnell handeln. Grundsätzlich sollte man bei jedem Sturz mit Kopfanprall sein Kind für die nächsten 6 bis 12 Stunden gut beobachten. Dabei unbedingt auf neurologische Symptome achten, also: Schreit das Kind ganz schrill, was es sonst nie macht, hat es eine verwaschene Sprache, fasst es sich an den Kopf …? Ein älteres Kind sollte man fragen, ob es nicht mehr richtig gucken kann oder alles zweimal sieht. Läuft Blut aus dem Ohr oder aus der Nase, kommt Flüssigkeit aus dem Ohr oder aus der Nase? Reagieren die Pupillen nicht mehr richtig, hat das Kind Lähmungserscheinungen, die es beim Sitzen oder Gehen beeinträchtigen? All diese Symptome muss man absolut ernst nehmen.
Wenn so ein Sturz abends passiert, vor dem Schlafengehen, empfehlen wir grundsätzlich immer die Vorstellung in der Notaufnahme. Denn wenn die Kinder schlafen, kann man diese ganzen Symptome nicht erkennen. In den meisten Fällen geht es zwar gut, aber wir empfehlen, hier nichts dem Zufall zu überlassen. Denn wenn es in der Nacht zu einem Problem kommt, dann bekommt man es vielleicht nicht mit. Also ist für die Entscheidung, ob die Eltern mit dem Kind ins Krankenhaus fahren oder nicht, auch wichtig: Passiert der Sturz tagsüber, wo ich das Kind noch gut beobachten kann, oder kurz vor dem Schlafengehen?
Bei kleinen Kindern sind auch Fieberkrämpfe nicht ungewöhnlich. Für Eltern ein erschreckendes Erlebnis. Was kann man tun?
Beim Kind bleiben und den Rettungsdienst alarmieren. Auf keinen Fall einen Keil oder so etwas zwischen die Zähne schieben, während es krampft. Wenn der Krampf vorbei ist – meist hört er ja ganz von selbst auf –, das Kleine in die stabile Seitenlage oder bei Kindern unter einem Jahr in die stabile Bauchlage legen. Schauen, dass das Kind atmet und auf den Rettungsdienst warten.
Was ich hier noch anmerken möchte: Eltern machen sich nach einem Fieberkrampf ja oft Vorwürfe, dass sie nicht früh genug Fiebersenker gegeben haben, insbesondere Mütter, die nachts meist die Verantwortung haben für die Fieberkontrolle, wenn das Kind krank ist. Was die wenigsten wissen: Die Ist-Temperatur hat nichts damit zu tun, dass das Kind einen Fieberkrampf bekommt. Es ist vielmehr der schnelle Fieberanstieg, der den Krampf verursacht. Das Kind kann auch bei einer Temperatur von 38,4 °C einen Fieberkrampf bekommen. Wenn das Ansteigen von 36,4 °C auf 38,4 °C schnell erfolgt, dann kann das einen Fieberkrampf verursachen.
Auch das Thema gesunder Schlaf und plötzlicher Kindstod beschäftigt junge Eltern. Was kann man vorbeugend tun?
Da nehme ich mich nicht aus, auch mich hat dieses Thema bei meinen Kindern beunruhigt. Die gute Nachricht ist, dass rein statistisch die Zahlen extrem gefallen sind. Mittlerweile sind weniger als 0,02 Prozent der Säuglinge davon betroffen. Das liegt zum einen daran, dass die meisten Eltern die richtigen Vorkehrungen kennen und befolgen, also dass das Baby idealerweise bei einer Zimmertemperatur von 18 °C schläft, in einem Schlafsack, am besten im Elternschlafzimmer, aber in einem eigenen Bettchen, dass es gestillt wird, dass die Impfungen erfolgen … Diese Faktoren wirken sich alle positiv aus und senken das Risiko eines plötzlichen Kindstods.
Gerade wurde zudem in der Fachpresse veröffentlicht, dass man ein bestimmtes Enzym entdeckt hat, das (unter anderem) ursächlich für den plötzlichen Kindstod sein könnte. Natürlich führen immer mehrere Faktoren dazu, dass so etwas Schreckliches passiert. Aber wenn sich diese Ergebnisse als richtig erweisen und die Forschung hier noch weitergeht, dann kann ich mir gut vorstellen, dass das in nächster Zeit in ein Neugeborenenscreening mit aufgenommen wird.
Es gibt auch verschiedene Systeme, Sensoren zum Beispiel, die messen, ob das Baby nachts regelmäßig atmet. Dabei kommt es aber auch mitunter zu Fehlalarmen. Ob Eltern hier zusätzlich auf Technik setzen, das muss jedes Paar selbst entscheiden.

Was empfehlen Sie noch für Erstlingseltern, um im Notfall gerüstet zu sein?
Auf alle Fälle sollte man ein kleines Notfall-Set zu Hause haben mit Fiebersaft oder Fieberzäpfchen, Pflastern, einem Thermometer, einer Zeckenzange … Wichtig ist, dass man nicht erst in die Apotheke fahren muss, wenn es dem Kind schlecht geht, sondern ein paar Dinge eben schon da hat. Man muss auch nicht übertreiben, aber ein Fläschchen Fiebersaft, das noch haltbar ist, sollten Familien mit Babys oder Kleinkindern unbedingt in der Hausapotheke haben.
Soll man den Online-Kurs in Erster Hilfe eigentlich regelmäßig wiederholen, oder sitzt das, wenn man es einmal gemacht hat?
Wir sagen, Erste Hilfe ist wie Fahrradfahren. Irgendwann kann man es, aber bis sich das Wissen ins prozedurale Gedächtnis eingegraben hat, das dauert. Darum muss man die praktischen Übungen öfter einmal wiederholen. Und grundsätzlich sollte jede Betreuungsperson von Babys wissen, was im Notfall zu tun ist. Auch dafür ist der Online-Kurs gut: Man kann immer wieder üben, aber die Puppe auch weitergeben, sodass die Großeltern ebenfalls üben können. Ein weiterer Vorteil ist: Die Puppe hat verschiedene positive Feedbackmechanismen. So zeigt sie etwa an, ob man die Lunge richtig beatmet, denn bei Säuglingen überstreckt man den Kopf nicht, im Gegensatz zur Beatmung bei Erwachsenen. So etwas kann man an der Reanimationspuppe gut üben.
Werden die Kosten für den Kurs eigentlich von den Krankenkassen übernommen?
Teilweise ja, teilweise nein. Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten bereits oder geben einen Zuschuss. Wenn man den Kurs machen möchte, sollte man in jedem Fall bei seiner Krankenkasse anfragen, denn oft gibt es die Zuschüsse, wenn konkrete Anfragen gestellt werden.
Weitere Infos zum Online Kurs:

Die Ärzte Dr. med. Annalena Dehé und Dr. med. Lukas Dehé arbeiten als Fachärzte für Innere Medizin bzw. Anästhesiologie. Außerdem haben sie eine Ausbildung als Notärzte und sind Dozenten für Notfallmedizin. Der Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge umfasst 30 Kapitel und dauert insgesamt 4 Stunden. Die Puppe zum Üben wird mitgeliefert. Buchen kann man den Kurs unter 12minutes.de
Bildquelle: Getty, 12 minutes
Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 56
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