Kinodoku – Wenn Frauen für Gleichberechtigung streiken

Kinodoku – Wenn Frauen für Gleichberechtigung streiken

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Uli Morant

Gleiche Rechte, gleiche Bezahlung, gleiche Möglichkeiten – als die Frauen in Island 1975 einen Tag lang in Streik gingen, waren ihre Forderungen klar. Die Dokumentation „Ein Tag ohne Frauen“ (derzeit im Kino) zeigt die Hintergründe und lässt Zeitzeuginnen und Aktivistinnen zu Wort kommen. Wir haben mit der Produzentin des Films, Hrafnhildur Gunnarsdóttir, gesprochen

Heute gilt Island als weltweit eines der wenigen Länder, mit einer beinahe vollständig gleichberechtigten Gesellschaft. Doch das war nicht immer so. Zwar hatten isländische Frauen seit 1915 das Wahlrecht, doch war ihnen noch der Zugang zu vielen Berufsausbildungen versagt, sie durften bei Vereinen oder Interessensverbänden nicht Mitglied werden und waren auch im Parlament nur marginal vertreten. Erst ein landesweiter Streik der Frauen im Oktober 1975 veränderte die Situation.

Die Rolle der Frau in den 1960er Jahren

Die Dokumentation „Ein Tag ohne Frauen“ lässt viele Zeitzeugen und Organisatorinnen des großen Frauenstreiks von 1975 zu Wort kommen. So erzählt zum Beispiel Sigrun Hermannsdottir, dass sie damals in einer staatlichen Bank arbeitete. „Alles wurde manuell gemacht, keine Computer. Also war die Bank voll mit Frauen. Die Männer waren in den oberen Stockwerken. Sie haben die Bank geleitet, nicht wir. Junge Kerle! Sie kamen rein, waren 10 oder 15 Jahre jünger als du, man zeigte ihnen wie der Hase läuft und ehe man es sich versieht, sind sie dein Chef – nachdem man ihnen alles beigebracht hat.“

Eine andere Frau berichtet: „Wir sollten vor dem Mann aufwachen und unser Make-up auflegen, weil er dich nur von deiner besten Seite sehen sollte. Männer wussten nicht einmal, wie sie sich einen Kaffee kochen konnten.“

Kein eigenes Geld, keine freie Berufwahl, keine Anerkennung – viele Frauen waren zunehmend unzufrieden mit der Situation.

Historische Aufnahme vom Frauenstreik aus dem Dokumentarfilm „Ein Tag ohne Frauen“ (©RiseandShine Cinema)

Die isländische Frauenbewegung formiert sich

Also begannen die Frauen, sich in Frauenvereinen zu organisieren. Näh- und Handarbeitsclubs waren ein beliebter Treffpunkt um ohne Männer zu diskutieren, über Themen wie Menstruation, mangelnde Beförderungschancen bei der Arbeit, unbezahlte Hausarbeit…

Bei einer großen Frauenkonferenz 1975 kamen schließlich 300 Frauen aus verschiedenen Vereinen und Organisationen zusammen. Schnell war eine Idee geboren: Was würde passieren, wenn alle Frauen aufhören würden, Dinge zu tun. Alles würde kollabieren: die Fischindustrie, die Kinderbetreuung, das öffentliche Leben, Verwaltungen…

Die Frauen legten den 24. Oktober 1975 als Streiktag fest, offiziell als „Ruhetag“ bezeichnet. Aufrufe, Flugblätter, Telefonketten… Ohne soziale Medien war es eine Herausforderung, diesen allgemeinen Streiktag zu organisieren. Doch es funktionierte.

Am Stichtag kommen auf dem Lækjartorg, dem zentralen Platz von Islands Hauptstadt Reykjavík, mehr als 20.000 Frauen zu einer Demonstration zusammen. Es geht ihnen um Themen wie Gleichberechtigung, faire Bezahlung und eine bessere Kinderbetreuung. Die meisten isländischen Frauen bleiben an diesem Tag ihrer Arbeit fern und versammeln sich.

Die Aktion zeigte Wirkung. 1976 passierte ein erstes Gesetz zur Gleichberechtigung das isländische Parlament, 1980 wählte die Inselnation mit Vigdís Finnbogadóttir die erste Frau zur Präsidentin. Heute ist das Land ein Vorbild bei der Gleichberechtigung: Seit Jahren führt Island den Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums als das Land mit der weltweit geringsten Ungleichheit bei der Bezahlung.

Die Frauen rufen den 24. Oktober 1975 als Streiktag aus. Illustration aus dem Film „Ein Tag ohne Frauen“ (©RiseandShine Cinema)

Die Story zum Film „Ein Tag ohne Frauen“

Wir haben mit der Produzentin des Films, Hrafnhildur Gunnarsdóttir, gesprochen, die am 24. Oktober 1975 als Kind zusammen mit ihrer Mutter beim Streik dabei war.

Frau Gunnarsdóttir, was war Ihre Intention diesen Film zu machen?

Hrafnhildur Gunnarsdóttir: „Die Welt verändern natürlich – wie bei all meinen Filmen! (lacht) Nein, mal ernsthaft: Ich glaube es ist wichtig nicht zu vergessen, woher man kommt. Als wir mit der Produktion des Films begonnen haben, waren die Dinge noch nicht so schlimm wie sie jetzt aktuell sind. Aber umso wichtiger ist der Film gerade jetzt. Ich war an Streiktag 1975 vor Ort und es hat alles verändert, es hat mir Hoffnung gegeben und meine Sicht auf die Welt verändert. Ich denke, es ist wichtig historische Momente wie diese zu sehen und ihnen Bedeutung zu verleihen und weiterhin Dinge zum Besseren zu verändern.“

Wie war es für Sie mit all den mutigen, großartigen Frauen zu sprechen?

„Oh, ich kenne ungefähr zwei Drittel von ihnen. Es war wirklich großartig! Diese Frauen sind so inspirierend, die ganze Bewegung ist insprierend. Sie haben bei all ihren Aktionen unterschiedliche Methoden eingesetzt und Humor war die wichtigste dabei. Ich denke Humor ist der Schlüssel in diesem speziellen Moment und ich glaube generell, es ist besser Humor einzusetzen als immer gleich mit der Faust zu drohen. Das bringt die Leute dazu, mal in anders über Dinge nachzudenken.“

Aber im Film sieht man, dass es gar nicht gut ankam als einige der Frauen die „Hausfrau“ am Weihnachtsbaum „aufgehängt“ haben. Das war für viele Leute verstörend…

„Ja, das stimmt! Aber Aktionen wie diese waren gut für die PR. Es wurde darüber diskutiert und geschrieben in den Zeitungen und die Leute fingen an darüber nachzudenken: „Stimmt, auch meine Mutter konnte Weihnachten nie genießen weil sie einfach fertig war von den ganzen Vorbereitungen.“ Die Frauen haben aber auch andere Aktionen gemacht. Zum Beispiel sind sie in Geschäfte gegangen, haben Mehl gekauft und dann beim Bezahlen zum Inhaber gesagt: Gut, wir bezahlen dir heute für das Mehl nur 60 Prozent des eigentlichen Preises, denn unser Gehalt ist ja auch um 60 Prozent geringer als das der Männer. Damit haben sie eine öffentliche Debatte angestoßen.“

Eine der Zeitzeuginnen: Ingibjörg Pálmadóttir, ehemalige isländische Ministerin (©RiseandShine Cinema)

Man sieht auch, dass alle Frauen ihre Vorgesetzten um Erlaubnis baten um am Tag des Streiks der Arbeit fernbleiben zu können. Heute würde man wahrscheinlich einfach wegbleiben… Und viele Frauen wollten nicht „in Streik gehen“ sondern bevorzugten die Formulieren „wir nehmen einen Tag frei“.

„Ja, manchmal muss man Kompromisse machen. Und ich denke das war ein weiterer Punkt, warum die Frauen so erfolgreich waren. Eben weil sie es schafften, Frauen aus ganz unterschiedlichen politischen Spektren und sozialen Schichten zusammen zu bringen für eine Sache. Die einen wollten nicht streiken, die anderen wollten unbedingt streiken. Aber irgendwie kamen doch alle zusammen. Manchmal muss man Kompromisse machen, um erfolgreich zu sein.“

In welcher Hinsicht war der Tag ein Erfolg und wo waren vielleicht die Erwartungen zu groß? Was glauben Sie?

„Ich glaube es brauchte eine Weile bis die Leute verstanden haben, dass an diesem Tag Geschichte geschrieben wurde. Es war der größte Protest der jemals in Island stattgefunden hat. Es gab politische Reden, es gab Gesang, es gab eine ganze Reihe von Dingen, die an diesem Tag geschehen sind und alle die dabei waren und es erlebt haben, waren sehr euphorisch. Alle fühlten, dass dieser Tag etwas verändert hatte. Aber es war nur wenigen bewusst, dass das ein historischer Moment war. Das staatliche Fernsehen RUF hat den ganzen Tag über gefilmt. Bei der Recherche für die Dokumentation wusste ich, dass es dieses Filmmaterial gab, da ich es schon zuvor für ein anderes Projekt gesichtet hatte. Aber die Fernsehanstalt hatte fast alles gelöscht. Es gab nur noch Material von 15 Minuten. Nur 15 Minuten! Auch das zeigt, dass den Leuten nicht bewusst war, wie wichtig dieser Tag einst sein würde.“

Das war bestimmt ein Schock für Sie, dass kaum Material zum Streiktag vorhanden war, oder?

„Ja, zunächst schon. Aber es gab uns auch mehr kreative Freiheit beim Drehen. Wir animierten die Szenen und machten so die ganze Geschichte sichtbarer und auch verspielter.“

Denken Sie es sollte wieder Aktionen geben wie diesen „Tag ohne Frauen“, um die Gleichstellung voranzutreiben?

„Absolut! Ich habe in den Vereinigten Staaten studiert, in Berkley, das war in den 1990ern. Es ist unglaublich daran zu denken, dass das die guten Zeiten gewesen sein sollen. Der Backlash in den USA ist unglaublich! Und schauen Sie nur nach Frankreich auf den Fall Pelicot. Die ganze Gewalt gegen Frauen! Auch wenn wir nach Afghanistan blicken: Wie konnten wir nur so weit zurückfallen! Ich glaube gerade in Deutschland sind die Leute sehr interessiert daran in Aktion zu treten.“

Hier sind Frauen noch längst nicht gleichberechtigt. Im Gender Equality Index der EU liegt Deutschland gerade mal auf Platz 10 und Frauen werden immer noch schlechter bezahlt als Männer.

„In Island haben wir die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen gesetzlich festgelegt. Das ist eines der guten Dinge, die es in Island gibt.“

Glauben Sie ein Frauenstreiktag wie der von 1975 ist nur in einer relativ kleinen Gesellschaft wie Island möglich?

„Ja, wir sind wenige Menschen, gerade mal 383.000 Isländer, aber ich glaube ein Streik wie dieser ist auch in anderen Ländern möglich. Es ist auch einfacher heute so etwas zu organisieren. Die Frauen haben es damals ohne moderne Hilfsmittel geschafft, alles nur über Flyer, Aushänge, Telefonate… Es ist natürlich immer noch ein Aufwand viele Menschen für so eine Idee zu mobilisieren, die unterschiedlichen politischen Lager, die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass so etwas in Deutschland funktionieren würde. Schweden zum Beispiel will nächstes Jahr einen ähnlichen Streik machen für alle Frauen, in Spanien sind die Frauen 2018 auf die Straße gegangen und auch in Polen gibt es für einen allgemeinen Frauenstreik bereits Pläne.“

Kommen Ihrer Meinung nach Impulse zu mehr Gleichberechtigung von gesellschaftlicher oder von politischer Seite?

„Ich denke es funktioniert nur, wenn es aus der Gesellschaft kommt. Man sieht ja, wie es in Island war. Die Frauen kamen sprichwörtlich aus der Küche und gingen streiken.“

Was wäre Ihr Rat an junge Frauen, die mehr Gleichstellung erreichen wollen?

„Haben Sie keine Angst Kompromisse einzugehen, um das Ziel zu erreichen. Verwenden Sie Humor als Stilmittel, manchmal ist eine Blume als Symbol einfach besser als eine Faust. Die isländische Frauenbewegung war gerade deshalb so erfolgreich, weil sie Humor für ihre Zwecke genutzt hat. Humor zeigt die Dinge in einem ganz anderen Licht.“

Die Dokumentation „Ein Tag ohne Frauen“ läuft derzeit in vielen deutschen Kinos. Darin werden die gesellschaftlichen Gegebenheiten gezeigt, die zum isländischen Frauenstreik von 1975 führten und es kommen viele Zeitzeugen und Aktivistinnen zu Wort.

Island, USA 2024,
Von Pamela Hogan & Hrafnhildur Gunnarsdóttir, Animation: Joel Orloff
FSK: 0

Bilder: ©RiseandShine Cinema

Bildquelle: Getty

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