Hebammen-Interview: Darum ist das Wochenbett so wichtig
Die Zeit im Wochenbett soll für Mutter und Neugeborenes eine Phase der Ruhe und Erholung sein. Wie wichtig diese Zeit auch für die Erholung und Gesundung ist, erklärt Hebamme Kerstin Lüking im Interview.
Warum ist die Zeit im Wochenbett für Mama und Baby so wichtig und so besonders?
Kerstin Lüking: Das Wochenbett eröffnet Mama und Baby die Möglichkeit, sich von der Entbindung zu erholen und sich ganz in Ruhe aneinander zu gewöhnen. Leider ist uns die Tradition des Wochenbettes, wie es früher üblich war und auch in anderen Kulturen zum Teil noch üblich ist, etwas abhanden gekommen. Früher war es normal, dass dieser „Schutzraum“, der sechs bis acht Wochen andauert, auch eingehalten wurde.
Heute beobachte ich, dass die Frauen sehr ungeduldig geworden sind. Viele fragen mich schon nach relativ kurzer Zeit: „Wann sehe ich denn wieder aus wie vorher? Wann kann ich wieder raus? Wann bin ich wieder fit?“ Möglichst schnell wieder funktionieren zu müssen hat heutzutage leider einen hohen Stellenwert. Ich sage den Frauen, wenn ich sie zu Hause besuche, immer: „Lasst euch und eurem Körper Zeit, sich zu erholen. Setzt euch nicht unter Druck.“ Die Zeit im Wochenbett ist eine Zeit der Regeneration – nicht der Hochleistung.
Bei den meisten Frauen kehren die Kräfte nach zwei, drei Wochen von alleine zurück und sie merken, dass sie wieder fitter werden. Aber Druck ist in dieser Zeit völlig unangebracht und schadet nur. Jede Frau braucht nach einer Entbindung ihre individuelle Zeit.
Auch für die Bindung von Mutter und Kind ist das Wochenbett ganz entscheidend, sagen Sie.
Ja, es ist eine Zeit der Gesundung, Geborgenheit und Bindung. Das Stillen muss sich einspielen und gelingt auch besser, wenn die Frauen sich Ruhe und Zeit gönnen. Häufiges Kuscheln und körperliche Nähe sind ganz wichtig im Wochenbett – übrigens auch für die Väter oder Geschwisterkinder, die wollen auch mit einbezogen werden. Nähe, Wärme, Zusammensein, das ist in dieser Zeit wichtig. Viel wichtiger als eine tipptopp aufgeräumte Wohnung, frisch gewaschene Haare oder ein perfektes Make-up. Darum geht es nicht.
Der weibliche Körper hat mit der Schwangerschaft und der Geburt echte Höchstleistungen erbracht. Darauf kann und darf man zu Recht stolz sein. Für viele Frauen, die im Alltag wahre Perfektionistinnen sind, ist das Wochenbett eine Herausforderung. Aber auch eine wunderbare Gelegenheit, um endlich mal loszulassen. Im Wochenbett geht es nicht um Perfektion.
Welche Rolle spielt der Partner während des Wochenbetts?
Eine ganz wichtige. Ich rate den Vätern dazu, nach der Geburt mindestens drei Wochen Urlaub zu nehmen, um diese Zeit bewusst miterleben zu können. Leider ist das nicht immer möglich. Aber ich bin sehr dafür, dass man es zumindest versucht.
Nicht nur um der Partnerin bestimmte Dinge abnehmen zu können, einzukaufen oder den Haushalt zu machen. Sondern um dabei zu sein, Zeit mit dem Baby zu verbringen, sich aneinander zu gewöhnen. Der Partner ist eine wichtige emotionale Stütze. Für alles andere – Haushalt, Kochen, Einkaufen etc. – kann man sich Hilfe holen.
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Raten Sie Frauen, sich schon vorher mit dem Thema „Wochenbett“ zu beschäftigen?
Ja, auf jeden Fall. Der Fokus der werdenden Eltern liegt oft sehr auf der Geburt. Dabei ist die Zeit danach genauso wichtig. Ich bespreche das mit den Frauen im Geburtsvorbereitungskurs und gebe Tipps, was man vorab für das Wochenbett schon besorgen sollte und organisieren kann. Auch in meinem Buch gibt es dafür eine Checkliste. Denn eine gute Vorbereitung schafft den Raum und die Ruhe, die man nach der Entbindung im Wochenbett dann auch braucht.
Wie bereitet man sich auf das Wochenbett vor?
Essen vorzukochen ist ein wichtiges Thema, ebenso wie ausreichend Vorräte im Haus zu haben. Noch besser ist es, sich jemanden zu organisieren, der auch mal Essen vorbeibringt und gerne frisch und gesund kocht. Das kann die Mutter, Schwiegermutter, Freundin oder Nachbarin sein. Jede Unterstützung ist willkommen. Das gilt auch für den Haushalt. Organisieren Sie sich eine Putzfrau oder Haushaltshilfe. In besonderen Fällen übernimmt auch die Krankenkasse die Kosten. Es lohnt sich, sich zu informieren.
Ebenso wichtig ist es, sich vorher zu überlegen, ob und wer im Wochenbett zu Besuch kommen darf und wie häufig. Manche Frauen wollen möglichst viel Ruhe und nur wenig Besuch. Andere wünschen sich vielleicht die eigene Mutter zur Seite oder eine Freundin. Man darf und sollte im Übrigen auch Nein sagen, wenn einem der Besuch zu viel wird. Denn am Ende zahlen Mutter und Baby den Preis, wenn der Stress zu groß wird. Brustentzündungen oder Milchstau entstehen häufiger, wenn die Frauen unter Stress geraten. Deshalb rate ich zu einem freundlichen Nein.
Stichwort „Ernährung“: Was sollten frischgebackene Mütter im Wochenbett essen?
Am besten sollten sie regionale, saisonale und frisch gekochte Speisen essen. Gut geeignet ist vor allem weiche, leicht verdauliche Nahrung, sprich Suppen, Eintöpfe, Aufläufe und Breie. Alles, was stärkt und wärmt. Das kann die klassische Hühnerbrühe oder Rinderbrühe sein, aber auch Porridge, weich gekochtes Gemüse, Kartoffelbrei, Apfelmus und so weiter.
Von scharfen, stark gewürzten Speisen sollte man absehen. Ebenso wie von Diäten übrigens. Im Wochenbett brauchen Frauen Energie, um sich von der Entbindung zu erholen und ihr Baby stillen zu können. Sorgen um die Figur sind in dieser Zeit nicht angebracht. Hier gilt der alte Hebammenspruch: Eine Schwangerschaft dauert vierzig Wochen und ebenso lange dauert es auch, bis sich der Körper wieder erholt und zurückbildet. Das braucht Zeit. Es ist Unsinn, wenige Wochen nach der Geburt wieder in die alten Jeans passen zu wollen.
Der Körper braucht die während der Schwangerschaft zugelegten Kilos als Reserve für das Stillen. In der Regel verschwinden die Pfunde von allein. Auch hier gilt: bitte keinen Druck und keinen Perfektionswahn! Was sind schon ein paar Gramm mehr, einige Dehnungsstreifen oder ein weicherer Bauch gegen das Wunder, ein Baby geboren zu haben.
Viele Frauen haben im Wochenbett mit Stimmungstiefs, dem sogenannten Babyblues, zu kämpfen. Ursache hierfür ist die hormonelle Umstellung. Aber was sollte man tun, wenn die Niedergeschlagenheit länger anhält?
Zunächst einmal sind Gefühlsschwankungen im Wochenbett ganz normal und nichts Ungewöhnliches. Wenn ich bei meinen Besuchen jedoch merke, dass eine Frau anhaltend niedergeschlagen und deprimiert ist und keine richtige Bindung zu ihrem Baby aufbauen kann, hole ich professionelle Hilfe hinzu. Das geht bei einer Wochenbettdepression auch gar nicht anders. Da braucht es intensive Unterstützung von der Hebamme, vom Partner und von einem Therapeuten oder Psychologen.
Sie sind selbst Mutter von sieben Kindern. Wie haben Sie die Zeit im Wochenbett erlebt?
Jedes Mal anders (lacht). Jede Schwangerschaft war anders, jede Geburt war anders und auch die Zeit im Wochenbett war jedes Mal unterschiedlich. Natürlich habe ich auch dazugelernt. Ich habe gemerkt, was mir guttut, welche Hilfe ich brauche, was ich lieber nicht möchte.
Ich habe auch schon im Wochenbett gearbeitet und hing am Telefon – da hat mein Mann dann nur den Kopf geschüttelt. Und mit jedem Kind wächst natürlich auch die Herausforderung, denn es sind ja noch Geschwisterkinder da, die ebenfalls Aufmerksamkeit brauchen. Aber alles in allem habe ich schon versucht, die Phase im Wochenbett als eine ganz besondere Zeit zu würdigen und auch zu genießen.
Kerstin Lüking wurde 1973 in Westberlin geboren. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Jura und Psychologie, bevor sie sich für den Beruf der Hebamme entschied. Für Mütter (und Väter) hat sie den Ratgeber „Die Wochenbetthebamme. Wertvolle Tipps für die ersten 8 Wochen nach der Geburt“ herausgebracht (Books on Demand 2017, 12,99 Euro) und die online bestellbare „Wochenbettbox“ mit Essentials für das Wochenbett entwickelt. Sie hält Vorträge und bloggt mit drei Müttern und Fachfrauen auf mutterkutter.de. Mit ihrem Mann Holger Lüking hat sie sieben Kinder und lebt in Berlin. Weitere Infos auf hebammekerstinlueking.de und wochenbettbox.de
Bilder: privat (1), gettyimages