Alles anders nach der Geburt? So bereitet ihr euch auf die Veränderung vor
Nach der Geburt ist nichts mehr so wie es vorher mal war. Das klingt für viele Eltern sehr bedrohlich – dabei bedeutet Veränderung ja nicht unbedingt etwas negatives.
Leben bedeutet Entwicklung. Dennoch fällt es uns schwer, mit großen Veränderungen umzugehen. Vor allem wenn diese unser Dasein komplett auf den Kopf stellen – wie etwa nach der Geburt eines Kindes…
Das Babyzimmer ist eingerichtet, der Geburtsvorbereitungskurs absolviert, der Bauch wächst und damit auch die Gewissheit: Bald kommt das Baby. Vor allem beim ersten Kind können Paare nicht ahnen, was das konkret bedeutet. Das Baby macht aus ihnen nicht nur auf einen Schlag eine Familie, es ist auch insgesamt eine Zäsur im Leben, nach der vieles anders sein wird. Bei aller Freude mögen sich bei werdenden Müttern und Vätern deshalb hin und wieder leise Zweifel einschleichen: Bin ich bereit für ein Kind? Ist meine Jugend nun vorbei? Kann ich so viel Verantwortung überhaupt tragen?
Wir können Entwarnung geben: Zweifel sind völlig normal und sogar positiv. Das Entscheidende ist nur, wie werdende Eltern mit ihnen umgehen, erklärt Patrick Lynen. Er ist einer, der es wissen muss: In seinen Büchern beschäftigt er sich hauptsächlich mit der Frage, wie wir Menschen die Herausforderungen meistern können, die Veränderungen mit sich bringen. Außerdem ist er selbst mehrfacher Vater und kennt die Ängste, die das Elternwerden und -sein mit sich bringen.
Vor allem beim ersten Kind wissen werdende Eltern noch nicht, was sie wirklich erwartet. Gibt es eine Möglichkeit, dieses große Unbekannte etwas zu konkretisieren, um ihm das möglicherweise Bedrohliche zu nehmen?
Patrick Lynen: Ja, vor allem Erstgebärende und Männer, die zum ersten Mal Vater werden, sollten sich mit den Themen so früh wie möglich beschäftigen und konfrontieren. Denn was wir kennen und sinnlich erfahren, macht uns keine Angst mehr. Ich sage immer: Besucht Freunde mit möglichst vielen Kindern, sucht im Netz nach Menschen, mit denen ihr euch austauschen könnt. Sucht euch Menschen, die euch vor und nach der Geburt unterstützen können. Schaut euch das alles so früh wie möglich an. Dann entdeckt ihr den Zauber und die Gnade des Elternwerdens. Manches wird euch auch erschrecken, doch das gehört dazu.
Ein Kind zu bekommen ist ein einschneidendes Erlebnis in der Biografie eines Menschen – danach ist vieles anders. Wie schaffen wir es, dieses „anders“ nicht als negativ wahrzunehmen?
Nun, es mag verrückt klingen, ist aber wissenschaftlich untermauert: indem wir unser Denken ändern. Wir müssen uns entschließen, Herausforderungen anzunehmen. Uns selbst und unseren eigenen Möglichkeiten mehr vertrauen und damit aus der inneren Starre herausfinden. Jeder von uns kann die Wände seiner eigenen Schuhschachtel herunterklappen, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung auf- brechen und bisherige Glaubenskonstruktionen infrage stellen.
Fürchten die Leute, dass sich ihr Leben verändert, weil sie ihr aktuelles Leben so, wie es ist, gut und schön finden?
Vielleicht auch das. Ein Kind bringt Zauber und Unsicherheit gleichermaßen in unser Leben. Es stinkt plötzlich nach benutzten Windeln, die Wohnung wird irgendwann zum Trümmerfeld: Wände werden bemalt, Sofas werden zerstört – und das ist großartig! Denn nur das ist Leben. Das sollte man sich immer wieder klarmachen. In Indianerstämmen ist die Haltung zum Elternwerden und Elternsein eine ganz andere als bei uns, eine sehr inspirierende: Kinder zu bekommen ist für sie die Bestimmung des Menschen. Deswegen ordnet sich alles diesem wundervollen Ziel unter. Die Indianer wissen, dass alles nur auf Zeit existiert. Kinder werden zu ihren Lehrern, gemeinsam sind sie mehr. Der Fluss des Lebens ist für sie der stetige Wechsel aus Loslassen und Neuanfang. Jede Übergangsphase beinhaltet für sie eine Form der Geburt.
Diejenigen, die Angst vor Veränderungen haben – wollen sie wirklich alles konservieren und so belassen, wie es ist?
Sie wollen ihre emotionale Stabilität bewahren. Darum geht es im Kern. Wir Menschen wollen gerne die Kontrolle behalten und neigen dazu, uns für den vermeintlich sicheren Weg zu entscheiden. Aber wir sollten erkennen, dass wir die ersehnte Sicherheit nur an einem Ort und in einer einzigen Person finden können, nämlich in uns selbst – zusammen mit unserem Kind. Denn zunächst einmal sind vor allem die Mütter eins mit ihrem Kind. Mit unserem Kind gehen wir gemeinsam auf die Reise. Und die ist wundervoll. Mit vielen Haltestellen, Reisenden, Gleissperrungen. Wir alle haben diese Zugfahrt selbst erlebt. Wir kennen das, wir steigen ein, treffen unsere Eltern, reichen ihnen die Hand, sie begleiten uns, doch an irgendeiner Haltestelle müssen sie aussteigen und lassen uns alleine weiterfahren. Eine spannende Reise voller Begegnungen und Abschiede. Wir sind doch alle groß, erfahren und wehrhaft, wir sind starke und kleine Helden, die ihren Alltag bestens meistern. Wir sind gewitzt und bei Bedarf ziemlich flexibel. Außerdem gibt es stets Menschen, die uns bei unseren Vorhaben unterstützen. Was soll uns schon passieren? Die meisten Dinge, vor denen wir Angst haben, treten ohnehin niemals ein.
Wir sollten daher daran arbeiten, dass in uns die Neugier erwacht. Aufhören, uns an die Vergangenheit zu klammern. Uns dem Neuen stellen wie ein Kleinkind, das seine ersten Schritte macht. Anfangs stolpern und schwanken wir noch, doch allmählich folgen die ersten sicheren Schritte. Wir beginnen, die neuen Gegebenheiten in unser Leben einzubauen und eine neue Wirklichkeit auszuprobieren. Dabei machen wir natürlich Fehler. Und aus genau diesen Fehlern lernen wir. Sie helfen uns, einen festen Stand zu entwickeln und neue, geeignetere Strategien zu entwickeln.
Wie sehen die Ängste werdender Eltern konkret aus?
Ich als dreifacher Vater habe es erlebt, meine wundervolle Frau hat es erlebt, Freunde und Bekannte haben es erlebt: Wir fürchten uns, wir schlafen schlecht, haben Angst vor der Zukunft, fürchten uns trotz der großen Vorfreude auf das Kind vor dem uns noch Unbekannten. Daraus entsteht leicht ein Grübelzwang. Den aber darf man nicht zu groß werden lassen. Vielmehr sollte man versuchen, rechtzeitig gedanklich aus diesem Grübelzwang-Hamsterrad auszusteigen. Denn nicht das Hamsterrad selbst zwingt uns zum schnellen Laufen. Es dreht sich nur so schnell, weil wir so schnell rennen.
Haben Sie ein paar Tipps, wie wir den Veränderungen in unserem Leben, etwa nach der Geburt eines Kindes, am besten begegnen können?
Wir sollten uns die sieben Phasen der Veränderung anschauen. Die beschreibe ich in meinem Buch sehr umfangreich. Von der Natur können wir lernen, dass der Fluss des Lebens voller Übergänge ist. Natur ist Veränderung pur. Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind nur das augenscheinlichste Beispiel für die ständige Metamorphose des Lebens. Wir sind Teil dieser Natur. Und die Geburt eines Kindes ist einer der zentralen, schönsten und archaischsten Momente unseres Lebens. Auch das Elternwerden ist ein zentraler Aspekt dieses natürlichen Zyklus. Dabei gibt es Muster, die immer wieder gleich ablaufen. Bei uns allen. Wir sind also in diesen Momenten nur jemand, der sie auch durchläuft. Diese Phasen und Muster können wir erkennen und verstehen, beispielsweise die rationale und emotionale Komponente, die Vorahnung, die Sorge, die Näherung, die Öffnung, die Neugierde und das Ausprobieren. Und wir können das Erlebte als neue Kompetenzen in unser Leben einbauen. Das Wissen um diese Phasen jeder Veränderung kann uns helfen, den unsicherheitsbehafteten Übergang zur Vater- oder Mutterschaft als wundervolles Übel zu akzeptieren. Dann wird die Veränderung von weniger Ängsten begleitet.
PATRICK LYNEN ist Vater von drei Kindern und lebt Veränderungen: Er sagt von sich selbst, dass das stetige Neuerfinden seiner selbst das ist, was ihn ausmacht. Auch beruflich wechselt er gerne seine Tätigkeit, sobald ihm langweilig wird. Er hat bereits als Radiomoderator, Redenschreiber und Kommunikationstrainer gearbeitet.
In seinem zweiten Buch „How to get Veränderung“ beschreibt Patrick Lynen verständlich und interessant, wie wir Menschen Veränderungen ohne Angst begegnen können. Statt Unsicherheiten nachzugeben, so Lynen, können wir durch Veränderungen an Kraft gewinnen.
Patrick Lynen: How to get Veränderung. Krisen meistern, Ängste loslassen, das Leben lieben! Koha Verlag 2016, 14,95 Euro
Im Netz findet man ihn unter patricklynen.net