Kaiserschnitt: Wann ist er wirklich nötig?
Jede dritte Frau bringt in Deutschland ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Dabei wünschen sich die meisten eine natürliche Geburt. Doch woran liegt es, dass so viele Kinder im sterilen OP geboren werden? Unsere Autorin Kerstin Mitternacht ist der Frage auf den Grund gegangen.
Am Kaiserschnitt scheiden sich die Geister
Während der Schwangerschaft sind sich noch alle einig: Kein Alkohol, nicht rauchen, gesunde und ausgewogene Ernährung sowie ausreichend Schlaf. Wenn die Meinungen mal auseinandergehen, dann bei der Entscheidung für den richtigen Kinderwagen oder die perfekte Wippe. Doch beim Thema Geburt scheiden sich regelmäßig die Geister.
Ein Großteil der Frauen wünscht sich eine natürliche Geburt, doch fast jede dritte Frau bringt ihr Kind mittlerweile per Kaiserschnitt zur Welt. Über diese Zahl wird viel diskutiert: Was sind die Gründe für die hohe Rate? Ist eine Schnittentbindung tatsächlich risikoärmer? Oder spielen wirtschaftliche Interessen der Krankenhäuser eine Rolle? Hinzu kommen Gerüchte wie etwa, dass der Beckenboden bei einer operativen Entbindung nicht so stark beansprucht werde wie bei einer Spontangeburt.
Was dabei häufig zu kurz kommt, ist der Kaiserschnitt als solcher. Selbst in Geburtsvorbereitungskursen wird das Thema „Kaiserschnitt“ meist nur kurz am Rande angesprochen. Natürlich wird man vor dem Eingriff routinemäßig von einem Arzt aufgeklärt. Aber wie es sich anfühlt, wenn man in einem sterilen Operationssaal auf einem Tisch festgeschnallt wird und, umgeben von vermummten Gestalten, unter Periduralanästhesie bei vollem Bewusstsein den Bauch aufgeschnitten bekommt, darauf werden Frauen kaum vorbereitet.
Und auch auf die Reaktionen anderer Mütter sind Frauen nach einem Kaiserschnitt selten gefasst, denn oft müssen sie sich in Rückbildungskursen oder auf dem Spielplatz rechtfertigen und sich mit vorwurfsvollem Unterton anhören: „Ach, du Arme, aber stillen tust du doch wenigstens?“ Genauso wird Frauen gerne mal unterstellt, zu bequem und zu fein für eine natürliche Geburt gewesen zu sein, was nicht selten in dem Ausspruch „too posh to push“ gipfelt. Gerne klären die anderen Mütter dann darüber auf, was das Kind jetzt alles für Nachteile im Leben haben werde, weil es nicht durch den Geburtskanal musste.
Schicksal statt Wunsch
Hört man die Geschichten der betroffenen Frauen, wird schnell klar, dass das Thema „Kaiserschnitt“ für die meisten eher belastend ist. Vor allem weil diese Art der Entbindung in den seltensten Fällen der Wunsch der Frauen war, sondern eben Schicksal. Für kaum eine ist der Kaiserschnitt ein positives Erlebnis. Dabei hat diese Operation in unserer Welt schon unzähligen Kindern und Frauen das Leben gerettet. Doch nicht nur deshalb wird sich heute in manchen Kliniken vielleicht schneller für einen Kaiserschnitt entschieden, als das früher der Fall war. Wir haben mit Prof. Dr. Birgit Seelbach-Göbel, Direktorin und Chefärztin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, über die Gründe für einen Kaiserschnitt gesprochen.
Medizinisch unterscheidet man zwischen absouten und relativen Indikationen für einen Kaiserschnitt bzw. eine Sectio caesarea, wie der medizinische Fachbegriff lautet. Ist das Leben des Kindes oder der Mutter durch eine natürliche Geburt ernsthaft in Gefahr, liegt eine absolute Indikation vor. Die Entbindung erfolgt dann immer operativ, etwa bei Querlage des Kindes oder wenn das Köpfchen nicht durch das Becken passt. Dies ist auch der Fall, wenn die Plazenta vor dem Muttermund liegt oder dem Kind Sauerstoffmangel droht.
Eine relative Indikation für einen Kaiserschnitt besteht, wenn eine natürliche Geburt ein erhöhtes Risiko birgt. Dazu zählt etwa eine sehr schwierige erste Geburt, ein zu großes Kind mit einem geschätzten Geburtsgewicht ab 4.500 Gramm oder eine Beckenendlage, also wenn das Kind mit dem Po und/oder seinen Beinen nach unten liegt. „Allerdings gibt es Ärzte, die durchaus auch ein Kind in Beckenendlage auf natürlichem Weg zur Welt bringen können. Das war früher die Regel. Aber nachdem heute schon bei kleinen Abweichungen vom normalen Geburtsverlauf durch Kaiserschnitt entbunden wird, geht geburtshilfliches Können mittlerweile verloren“, sagt Seelbach-Göbel.
Wirtschaftliche Faktoren
Bei der Entscheidung für einen Kaiserschnitt werden immer wieder auch wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt. Denn natürlich bekommen Kliniken für Kaiserschnitte mehr Geld und können ihr Personal bei geplanten Kaiserschnitten gezielt einsetzen. Bei Spontangeburten ist das nicht die Regel ist. Doch laut Frauenärztin Seelbach-Göbel ist dies kein zwingender Grund für die relativ hohe Kaiserschnittrate. Wenn man über finanzielle Gründe spreche, dürfe man auch das Haftungsrisiko der Ärzte nicht außer Acht lassen. „Ärzte haben mittlerweile Angst vor hohen Schadensersatzforderungen, wenn bei der natürlichen Geburt etwas schiefgeht. Deshalb fällt die Entscheidung für einen Kaiserschnitt womöglich auch bei dem ein oder anderen Arzt schneller, weil auf diese Weise versucht wird, Risiken zu minimieren“, so die Frauenärztin. Das bestätigt auch Hebamme Andrea Hagen-Herpay: „Früher ist man meiner Einschätzung nach ein höheres Risiko eingegangen. Heute scheint man eher einen Kaiserschnitt zu machen, aus Angst vor Regressen. Es wird nicht lange gewartet, sondern schneller operiert.“
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