Muttermilchspenden: Wichtiger Kraftstoff für Frühgeborene
Frauen, die ein Frühgeborenes zur Welt gebracht haben, können anfangs oft nicht selbst stillen. Milchspenden anderer Mütter verhelfen ihren empfindlichen Kindern zu einer besseren Überlebenschance. Gesammelt und geprüft wird das „weiße Gold“ von Frauenmilchbanken an deutschen Kliniken. Doch die Finanzierung ist für die Krankenhäuser ein Kraftakt.
Text: Andrea Hackenberg
„Ich war so gerne schwanger“, sagt Alexandra Melendez. In einem Instagram-Video hält die 31-Jährige ihre positiven Schwangerschaftstests hoch, streichelt glücklich über ihren runden Bauch und freut sich auf ihr erstes Baby. „Ich habe Sport gemacht, mich normal ernährt, hatte nicht allzu viel Stress und sonst nur die üblichen Wehwehchen“, erzählt sie aus dem Off zu diesen Bildern. Doch ihre Unbeschwertheit endete abrupt in der 26. Schwangerschaftswoche: „Mein Sohn Emmanuel kam 14 Wochen zu früh – mit 35 Zentimetern und 770 Gramm.“
Muttermilch stärkt die Überlebenschancen von Frühchen
Jedes Jahr kommen in Deutschland etwa 8.000 Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm zur Welt, heißt es in einer Mitteilung der Universität Heidelberg. Dank der modernen Neugeborenen-Intensivmedizin haben sie trotz schwieriger Startbedingungen gute Chancen auf ein gesundes Leben. „Besonders die Ernährung mit Muttermilch stellt für diese Kinder einen klaren Überlebensvorteil dar“, sagt Corinna Gebauer, ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank an der Universitätsklinik in Leipzig.
„Denn anders als industriell hergestellte Nahrung auf Kuhmilchbasis wirkt Muttermilch präventiv und hilft, Komplikationen nach der Geburt zu vermeiden.“ Besonders groß ist etwa die Gefahr, dass unreife Frühchen an der nekrotisierenden Enterokolitis (NEK) erkranken – einer gefährlichen Darmentzündung, die in 40 Prozent aller Fälle mit dem Tod endet. Nach Schätzungen der gemeinnützigen Frauenmilchbank-Initiative (FMBI) werden hierzulande jedes Jahr knapp 200 Frühgeborene allein durch Milchspenden vor NEK bewahrt.
Spendermilch wird genau untersucht und ist sicher
Wegen einer Infektion durfte Alexandra ihren Sohn zunächst allerdings nicht selbst stillen. Zudem musste Emmanuel in seinen ersten Lebenswochen einige Operationen und Eingriffe überstehen. „Wir hatten so viele Baustellen und Sorgen und die Tatsache, dass ich nicht von Anfang an stillen konnte, war für mich natürlich sehr stressig“, sagt sie im Gespräch mit der FMBI. An der Charité in Berlin, wo sie entbunden hatte, bot man ihr an, ihren Sohn mit Spenderinnenmilch aus der dortigen Frauenmilchbank zu versorgen. „Das ging schnell und unkompliziert und es hat mir erst mal den Druck genommen. Ich war so dankbar für diese Möglichkeit“, erinnert sich Alexandra.
Doch wie sicher ist Muttermilch, die nicht aus der eigenen Brust stammt? „Sehr sicher“, betont Kinderärztin Corinna Gebauer. „Alle Frauen, die uns ihre Milch überlassen, werden im Vorfeld ähnlich untersucht wie Blutspenderinnen. Damit schließen wir aus, dass sie an Hepatitis B und C, an Aids und Syphilis leiden oder mit dem Zytomegalie- oder dem HI-Virus infiziert sind, die sich beide durch Muttermilch übertragen.“
So funktioniert das Spenden von Muttermilch
Die meisten Milchspenderinnen haben selbst in den Kliniken entbunden, denen die jeweiligen Frauenmilchbanken angeschlossen sind. Die Frauen befinden sich entweder noch direkt auf der Station oder aber spenden ihre Milch nach ihrer Entlassung von zu Hause aus. Viele von ihnen haben zuerst Milchspenden für ihr eigenes Kind in Anspruch genommen, bevor sie selbst zur Spenderin wurden.
Ein Weg, den auch Alexandra Melendez eingeschlagen hat, sobald sie endlich selbst stillen konnte. „Ich hatte wirklich sehr viel Milch und so konnte ich auch etwas zurückgeben“, erzählt sie. „Achtmal am Tag und in der Nacht habe ich gepumpt und das Equipment gereinigt. Ich bin eigentlich furchtbar inkonsequent, aber da habe ich begriffen, dass ich es jetzt einfach lernen muss, für meinen Sohn.“
Die gespendete Muttermilch wird direkt in kleine Einwegflaschen gepumpt und sofort gekühlt. In der Klinik folgt ein Abstrich, der mikrobiologisch im Labor auf Krankheitserreger untersucht wird. Nur wenn die Probe nicht zu beanstanden ist, wird sie verfüttert oder eingefroren. Grundsätzlich könne jedes Baby auch die Milch jeder Spenderin bekommen, sagt Anja Neumann, ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank an der Kinderklinik Auf der Bult in Hannover. „Wir versuchen allerdings, das Single-Donor-Prinzip einzuhalten, sodass ein Empfängerkind auch nur von einer Spenderin Milch bekommt.“
Besonders viel gespendete Milch ist gar nicht nötig, um einem Frühchen wie Emmanuel über die kritische erste Zeit zu helfen: „Im Idealfall braucht das Kind in den ersten Tagen 100 Milliliter, bis es von der eigenen Mutter mit Milch ernährt werden kann“, sagt Corinna Gebauer. Und wenn es nicht so ideal läuft? „Nehmen wir ein Baby, das vor der 24. Schwangerschaftswoche geboren wurde und überhaupt nicht von der eigenen Mutter versorgt werden kann“, so Gebauer. „Dafür bräuchten wir dann insgesamt 7 bis 8 Liter Spenderinnenmilch.“
Die Krankenkassen finanzieren keine Frauenmilchbanken
Laut FMBI sammeln die aktuell 34 Frauenmilchbanken hierzulande jedes Jahr Tausende Liter Muttermilch. Trotzdem hat die Mehrheit der zu früh geborenen Kinder in Deutschland derzeit keinen Zugang zu menschlicher Spenderinnenmilch, heißt es von der Initiative. Stattdessen werden diese Kinder mit industrieller Nahrung auf Kuhmilchbasis ernährt, wenn die eigenen Mütter sie nicht stillen können. Hintergrund ist, dass sich nicht jedes der mehr als 200 deutschen Perinatalzentren, die Frühgeborene behandeln, eine eigene Frauenmilchbank leisten kann. Denn die Kosten für Personal, Labor und Dokumentation sind erheblich.
„Man kann das mit einer Blutspende vergleichen“, sagt Fachärztin Anja Neumann. „Die Verfütterung jeder einzelnen Portion Spendermilch muss von der Gewinnung über die Verarbeitung bis hin zur Abgabe lückenlos und jederzeit nachvollziehbar sein.“ Für die Kliniken ist das ein Verlustgeschäft, da die Krankenkassen ihnen keine Vergütung für Spenderinnenmilch zahlen. Lediglich Fallpauschalen für die Behandlung von Frühgeborenen gibt es, aber die reichen in der Regel nicht aus, um die laufenden Kosten zu decken. „Und je kleiner ein Krankenhaus, desto teurer ist der Unterhalt einer Frauenmilchbank“, fügt Corinna Gebauer hinzu. „Dabei sollte man meinen, dass unsere Präventionsarbeit im Interesse der Krankenkassen ist: Wenn ein Frühchen an einer schweren Darmerkrankung wie NEK leidet, übernehmen sie die hohen Kosten für Operationen und Folgebehandlungen – nicht aber für Milchspenden, die diese Krankheit verhindern könnten. Das ist schon absurd.“
Eine Erleichterung für die Eltern von Frühchen
Pumpen, bangen, hoffen – für Alexandra und ihren Mann Alexander war es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Sieben Monate verbrachte sie mit ihrem Sohn auf der Kinderintensivstation der Charité, eine „traumatische, turbulente, aber auch schöne und intensive Zeit“, sagt sie heute. Eine Zeit, die so prägend für sie war, dass sie anfing, sich zu engagieren. Von Beruf Social-Media-Beraterin, nutzte sie ihre Reichweite im Netz, um anderen Müttern von Frühgeborenen Mut zu machen. Auf Instagram verbreitete sie ihre Geschichte und wirbt damit für den Weltfrühchentag, die Arbeit des FMBI und das Stillen. Über Facebook sammelte sie außerdem fast 20.000 Euro, die sie der Charité spendete.
Der kleine Emmanuel wird im September zwei Jahre alt. Ein aktuelles Instagram-Foto zeigt ihn als properes Kleinkind beim Eisessen. „Mein Grund für jeden meiner Atemzüge“, schreibt Alexandra dazu. „Meine Kraft, mein Antrieb und mein Sinn für alles, was ich tue. Mein Sohn.“
Infos zu Frauenmilchbanken:
Die gemeinnützige Frauenmilchbank-Initiative (FMBI) will erreichen, dass alle Frühgeborenen in Deutschland, die nicht von der eigenen Mutter gestillt werden können, sicheren Zugang zu Milchspenden aus einer Frauenmilchbank erhalten.
Bis 2023 wird in jedem Bundesland mindestens eine Frauenmilchbank entstehen. Rheinland-Pfalz ist derzeit der einzige weiße Fleck auf der Landkarte. Aktuell gibt es bundesweit 34 Frauenmilchbanken, 20 weitere sind in Planung. Zudem setzt sich die FMBI dafür ein, dass bestehende Frauenmilchbanken ihre Kapazitäten erweitern, um andere Kliniken mitversorgen zu können.
Weitere Infos zu Projekten und Spendenmöglichkeiten gibt es unter: frauenmilchbank.de
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