Zeitpunkt zweites Kind Geschwister

„Und, wann kommt das zweite Kind?“ Warum wir die Frage nicht mehr hören können

BABY, MUM, SCHWANGERSCHAFT

Kaum ist das erste Baby da, schon wird die Frage nach weiterem Nachwuchs laut. Aber wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt fürs zweite Kind? Und woran merkt man, dass man bereit ist für noch ein Baby?

Von Laura Ewert

Im Grunde genommen fängt es ja an, wenn das Kind sich gerade so entschrumpelt hat: „Ach, schön, du bist wieder schwanger!“, sagt ein Bekannter auf der Straße, mit der Hand auf den Rest-Babybauch zeigend, und sorgt für betretenes Schweigen oder zaghaftes Kichern. Denn es ist ja so: Wer ein Kind hat, muss ein zweites haben, das sagt das Bilderbuch, das sagt ein diffuses Bauchgefühl. Und so kommt es, dass Mütter, sobald sie nicht mehr andauernd gefragt werden, wie lange sie stillen, eben gefragt werden, ob sie noch Kinder wollen oder haben werden und wann denn überhaupt.

Es ist schwer, bei dieser Frage wegzuhören

Bei dieser Frage kann man versuchen, wegzuhören oder sehr schnell „Mindestens 5!“ zu schreien, um allen Angst zu machen. Denn es gibt Menschen, die bis zum dritten Geburtstag des Kindes nicht mal daran denken können, irgendwann wieder mit kleinen Babys in Kontakt zu treten; zu schwer wiegen die soziale Isolation, die Bräsigkeit der Laktation.

Die (vorgeschobenen) Gründe für die Verweigerung der Fortpflanzung könnte man den Neugierigen ja nun recht schnell referieren: Warum sollte man noch mehr Kinder bekommen? In einer Welt, deren bewohnbare Teile flächenmäßig immer kleiner werden? Kinderkriegen ist vor allem egoistisch, denn entweder will man eines, weil das erste so süß ist oder weil der Beziehung nichts anderes einfällt, um aufrechterhalten zu werden, oder weil man es sich nicht zutraut, aus einem Einzelkind ein sozial verträgliches Wesen zu machen.

Fragen nach Kindern, sind Fragen nach Schicksalen

Meistens ist man aber einfach nicht pfiffig genug, eine passende Antwort zu formulieren, denn die Frage geht ja viel tiefer, als ihr Steller allgemein beabsichtigt hat. Nicht nur weil es auch die gibt, denen eine abwehrende Antwort nicht so leichtfällt, weil die Entscheidung keine Entscheidung war. Kürzlich auf einer Hochzeit: ein sympathisches Pärchen mit einem netten Fünfjährigen. Betrunken und egoistisch, wie man war, weil das Thema aktuell auch persönlich beschäftigte, die neugier­ige Frage: „Und das zweite?“ Die Antwort: „Schwieriges Thema. Wir haben damit abgeschlossen. Wenn das Kind nachher im Bett ist, können wir das ausführlicher er­klären.“ Fragen nach Kindern sind Fragen nach Schicksalen, nach Privatem, nach Lebens­überzeugungen, nach Ängsten und Ärger – und öffnen allein schon deswegen die Büchse der Pandora, weil die Geburtenrate bei uns auch weiterhin eindeutig unter zwei Kindern liegt.

Die richtige Antwort ist: Immer und nie!

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut haben 2015 herausbekommen, dass Eltern, die nach der Geburt des ersten Kindes ein Gefühl von Unglück spüren, eher kein zweites Kind bekommen. Klar. Vor allem gilt das für gebildetere Eltern, die jenseits der 30 eine Familie gründen. Zu sehr ändert sich das Leben, in dem man sich eingerichtet hat, die Karriere verschwindet in ungreifbare Ferne. 2015 lag das durchschnittliche Alter der Mutter beim ersten Kind bei über 30 Jahren. Ausgenommen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Nicht zuletzt deswegen ist das Netz voll mit Texten zu der Frage „Wann ist der richtige Zeitpunkt fürs zweite Kind?“. Die richtige Antwort ist natürlich „Immer und nie!“, denn es ist verzwickt: Der Mann sagt, „ich würde mir schon noch ein zweites wünschen. Aber ich will dich nicht drängen“ – und drängt damit. Man selber denkt, dass das mit dem Arbeiten jetzt ja schon irgendwie Spaß macht, aber ab und an auch etwas langweilig ist. Man denkt, dass es natürlich echt schön ist, dass man am Strand jetzt auch mal wieder ein Buch lesen kann, weil das Kind mit anderen seiner Sorte beschäftigt ist. Aber es war ja schon sehr niedlich gewesen, so ein Baby, und man wird ja nicht jünger.


Eizellen einfrieren ist kostenintensiv

Eizellen einfrieren, das hatte eine Freundin alles mit ihrem Arzt durchgesprochen, ist wirklich sehr kostenintensiv, nur weil man grad nicht so genau weiß. Aber das passende Geschwisterchen als Spielpartner gleich hinterherzugebären hat man ja nun eindeutig verpasst. Laut Statistischem Bundesamt betrug der Abstand im Jahr 2014 zwischen dem ersten und dem zweiten Kind durchschnittlich zwischen drei und vier Jahren. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt ist eine sehr privilegierte. Das merkt man spätestens, wenn man sich plötzlich als Dauergast auf Websites wie netmoms.de oder frauenzimmer.de befindet, um den Eisprung ausrechnen zu lassen und sich künftig nach Kalender zu begnügen. Aber hier ist es auch nicht einfach: „Wenn Sie öfter miteinander Sex haben, verringern sich die Spermien und wenn Sie seltener miteinander Geschlechtsverkehr haben, sinkt die Chance auf eine Schwangerschaft“, liest man auf Kinderwunsch-Websites. Und weiter: „Aber: Wichtiger als die Anzahl ist, dass es Ihnen Spaß macht.“ Gute Info, wenn der Mann findet, es sei sicher besser, dreimal am Tag Sex zu haben. Doch der Imperativ „Spaß!“ führt zum Grund­gefühl „Stress!“.

Es dauert circa vier Monate, bis man schwanger wird

Nach zwei Monaten, in denen man den Schwangerschaftstest immer genau ein paar Stunden, bevor das Blut tropfte, gemacht hatte, wollte man bereits in die Kinderwunschpraxis rennen, bis man irgendwo las, dass es durchschnittlich vier Monate dauert, bis man schwanger wird. „Die Wahrscheinlichkeit, in einem Zyklus schwanger zu werden, beträgt nicht mehr als 30 Prozent. Wenn Sie sich zu sehr auf dieses eine Mal konzentrieren und zu viele Hoffnungen darauf setzen, stellen Sie sich unter einen besonderen psychischen Stress. Dann macht der Sex keinen Spaß mehr. Genießen Sie Ihren Sex und betrachten Sie das Kinderzeugen nicht als Pflichtübung, die im Terminkalender steht.“ Was wiederum zum Problem „Stress durch Versuch, keinen Stress zu haben“ führt.

Die Frage hat selten etwas mit Erwartungshaltung zu tun

Und irgendwann, wenn man es schon fast vergessen hat, dass man sich die Frage nach dem zweiten Kind ständig stellt, trinkt man ein letztes Mal ein Glas Rosé zum Mittagessen, überlegt, wer gerade noch so schwanger ist und welche Jahreszeit sein wird, wenn man sich kaum noch bewegen kann. Schwört sich, dieses mal nicht auf Rohmilchkäse zu verzichten. Rechnet aus, wie alt man ist, bis man wieder zurück im alten Leben ist. Dann weint man kurz und zwei Tage später fühlt man schon diese innere Ruhe. Zeit, sich darüber zu freuen, dass man keine Zeit mehr auf Mutterblogs verschwendet, nicht ständig nachliest, ob man jetzt eine größere Brust bekommt, anstatt einfach dabei zuzuschauen, wie sie wächst. Man schwört sich, dass man dieses Mal nicht das Ende des ersten Trimesters abwartet, bis man den Freunden erzählt, warum man gerade lieber jeden Abend zu Hause bleibt. Und merkt, dass die Euphorie der Freunde nicht mehr so übertrieben groß ist. Und merkt, dass die ständige Frage „Und, wann kommt das zweite?“ selten etwas mit einer Erwartungshaltung zu tun hat. Puh.

 

Mit dieser Checkliste kannst Du übrigens testen, ob Du bereit bist für ein zweites Kind.

 

Bild: Myung-Won Seo on Unsplash

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