Studie: Wie entwickelt sich das Familienleben nach einer künstlichen Befruchtung?
Sind Paare, die ein Kind durch künstliche Befruchtung bekommen haben, mehr gestresst als andere? Das will eine Studie herausfinden und sucht dazu noch freiwillige Teilnehmer.
Ein unerfüllter Kinderwunsch stellt eine Beziehung auf die Probe. Schließlich ist es für viele Paare ein Lebenstraum eine Familie zu gründen. Wenn dann festgestellt wird, dass eine Schwangerschaft ohne medizinische Hilfe nicht zustande kommen kann, beginnt oft ein langer Leidensweg, der von beiden Partnern viel einfordert an Engagement, gegenseitigem Verständnis, Geduld. Dazu kommen viele Untersuchungen, die Beantragung von Zuschüssen bei Krankenkassen, Arztgespräche, Hormonbehandlungen …
In Deutschland werden immer mehr Kinderwunschbehandlungen in Anspruch genommen. So wurden im Jahr 1997 6500 Kinder nach einer künstlichen Befruchtung geboren, im Jahr 2020 waren es laut Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers (DIVF) bereits mehr als 22.200. Dabei verläuft nicht jede künstliche Befruchtung erfolgreich. Die Wahrscheinlichkeit durch IVF, ICSI oder Kryotransfer schwanger zu werden liegen laut DIVF zwischen 4 und 47 Prozent. Diese Schwankungen werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst, unter anderem dem Alter der Patientin.
Dass so eine Behandlung Auswirkungen auf die Psyche hat, ist unbestritten. Wissenschaftler an der Universität Zürich wollen nun in einer Studie untersuchen, wie sich der Stresslevel der Familie nach der Geburt eines durch künstliche Befruchtung gezeugten Kindes entwickelt. Wir haben M. Sc. Julia Jeannine Schmid dazu befragt:
Frau Schmid, was genau untersuchen Sie in dieser Studie?
Wir untersuchen den Einfluss von assistierten Reproduktionstechniken, das sind umgangssprachlich künstliche Befruchtungen, auf die Familie. Wir möchten prüfen ob der Vorgang der künstlichen Befruchtung, der sich als sehr belastend für die Paare herausgestellt hat, auch nachdem ein Kind auf die Welt gekommen ist und alles gut gegangen ist, für die Familien fortbesteht.
Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Wir erfassen in der Studie ganz unterschiedliche Faktoren, zum Beispiel die Gesundheit der Eltern, aber auch die psychosoziale Entwicklung der Kinder, also ob ein Unterschied besteht zu Kindern, die durch natürliche Befruchtung gezeugt wurden, aber auch die Elternschaft generell, das Erziehungsverhalten, die Eltern-Kind-Beziehung, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen ob es Veränderungen gibt und welche das sein könnten.
Außerdem werden wir uns auch biologische Parameter ansehen. Das heißt wir sammeln Speichel- und Fingernagelproben. Damit haben wir einen objektiveren Einblick als nur die Fragebögen, die die Eltern ausfüllen. Die Proben ermöglichen es uns zu analysieren, ob ein Einfluss auf das Stresssystem besteht, also zu ermitteln, ob der Stress längerfristig etwas macht mit den Eltern.
An was genau wird das festgemacht? Welche Daten sind hier hilfreich für Sie?
Gerade in den Speichel- und Fingernagelproben können wir Hormone untersuchen, beispielsweise Cortisol, welches ein bekanntes Stresshormon ist. Es geht uns auch um Folgendes: Wenn man sehr großen Stress erlebt hat, kann es sein, dass der Körper auch zu einem späteren Zeitpunkt anders auf Stress reagiert. Es geht also nicht unbedingt darum, wie gestresst die Eltern in der aktuellen Situation sind, sondern ob der frühere Stress dazu geführt hat, dass sie jetzt anders auf Stress reagieren.
Was ist, wenn das Baby zu früh auf die Welt gekommen ist – auch das passiert ja häufiger?
An der Studie können auch Familien teilnehmen, bei denen das Kind als Frühgeburt auf die Welt gekommen ist. Man kann den Stressfaktor der allein durch eine Frühgeburt entsteht statistisch herausrechnen.
Wie viele Paare brauchen Sie für die Studie?
Das Ziel ist, dass insgesamt 165 Familien teilnehmen.
Wofür genau wird die Studie dann genutzt, bzw. die Ergebnisse der Studie?
Wir wollen herausfinden, ob noch eine Belastung besteht und falls eine solche besteht, inwiefern sich diese auf die Familie auswirkt. Anhand der Ergebnisse wollen wir Präventions- und auch Interventionsmaßnahmen für Familien entwickeln. Wenn wir aber feststellen, dass es in der Entwicklung der Familien keine Unterschiede gibt, dann ist es wichtig auch das an Paare zu kommunizieren, die sich überlegen eine solche Behandlung zu machen. Dass wir ihnen sagen können, sobald das Kind auf der Welt ist, ist die Entwicklung der Familie normal, was auch zu einer Entlastung führen kann.
Gibt es dahingehend schon Vermutungen die Sie haben?
Wir können noch nicht viel sagen, denn die Studie läuft ja noch. Was wir bisher schon sehen können ist, dass die Frauen von einer sehr starken Belastung durch die Behandlung sprechen. Bei den Männern ist das Spektrum viel breiter und reicht von „hat mich überhaupt nicht belastet“ bis zu „hat mich sehr stark belastet“. Die meisten sind irgendwo in der Mitte.
Das Zweite was wir gesehen haben ist die Erleichterung, die die Paare verspüren, wenn das Baby geboren ist. Konkret fragen wir, ob sie sich aktuell belastet fühlen durch die Infertilität und hier sagen beide Elternteile, dass sie sich wenig oder gar nicht mehr belastet fühlen sobald das Kind auf der Welt ist. Das sind aber nur die ersten Einblicke, mit richtigen Ergebnissen müssen wir warten bis alle Daten ausgewertet sind.
In Deutschland müssen viele Paare diese Behandlungen selber finanzieren, entweder ganz oder zu einem Teil. Wie ist das in der Schweiz geregelt?
Hier muss die Behandlung selbst bezahlt werden sobald eine Invitro-Fertilisation gemacht wird. Bei einer Insemination, wo die Eizellen nicht entnommen werden, sondern die Spermien zu den Eizellen gebracht werden, wird ein Teil der Kosten übernommen.
Mehr zu der Studie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich gibt es unter www.start-familie.ch.
Wer an der Studie teilnehmen möchte, wendet sich an folgende Emailadresse:
start-familie@psychologie.uzh.ch
Die Studienteilnahme findet von zu Hause aus statt, eine Anreise in die Schweiz ist nicht nötig.
Bilder: Gettyimages