Autorin Lea Streisand über unerfüllten Kinderwunsch, zu große Erwartungen und Wahlfamilien

FAMILIE, Medien, Menschen

Stefanie Staiger

Die Berliner Autorin Lea Streisand hat einen Roman über Adoption, Mütterrollen, Kinderkriegen und Elternsein geschrieben. Im Interview erzählt sie, warum es kein leibliches Kind braucht, um eine glückliche Mutter zu sein und was Kinderkriegen mit Egoismus zu tun hat.

Sie beschreiben in Ihrem Roman „Hätt’ ich ein Kind“ das Thema Kinderwunsch locker und humorvoll, obwohl es eine ernste Komponente hat. Die Hauptfigur Kathi wird mit Mitte dreißig damit konfrontiert, auf natürlichem Weg keine Kinder mehr bekommen zu können. Für die meisten Frauen ein Schock, weil man denkt, man hätte noch ewig Zeit. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Lea Streisand: Erst mal danke für das Kompliment. Ich versuche immer, möglichst unterhaltsam zu schreiben und zu erzählen. Sonst hört einem keiner zu. Nun, zunächst einmal: Für viele ist der späte Kinderwunsch ja keine freiwillige Entscheidung. Kinderkriegen ist teuer. Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins in Deutschland. Deswegen müssen wir heutzutage lange arbeiten, um sie uns leisten zu können. Und wenn es dann so weit ist, sind wir erschöpft und müde und müssen sonst was für Verrenkungen machen, bevor wir endlich unser Baby im Arm halten. Ich wollte kein Buch über ungewollte Kinderlosigkeit schreiben, sondern einen Roman über Adoption, Geburt, Freundschaft und Muttersein auf unterschiedlichen Wegen.

Das Thema ungewollte Kinderlosigkeit hake ich im ersten Kapitel ab. Da sind Kathi und David in der Kinderwunschpraxis, es wird klar: Das wird hier nichts – und dann geht es weiter. Denn für Kathi war Kinderkriegen immer der Plan. Familie sind Menschen in einer Beziehung. Der biologische Aspekt der Fortpflanzung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Diese Geschichte wollte ich erzählen.

Anstrengend ist, wenn um einen herum alle Kinder bekommen, nur man selbst nicht. Wie geht man mit diesen Fragen „Wann ist es denn bei euch so weit?“, „Übt ihr auch schon fleißig?“, „Handstand soll ja helfen nach dem Sex!“ und so weiter um?

Ich habe mich auch unter Zugzwang gefühlt, gerade so mit Anfang dreißig, als das in meinem Umfeld losging. Es ist ja auch anstrengend, dann dagegen zu halten und für sich erst mal zu klären: Will ich überhaupt ein Kind? Mit wem? Und wenn ja, wie? Nicht schwanger werden gilt als Makel. Als hättest du deine Aufgabe als Frau nicht erfüllt. Das sind jahrhundertealte Vorurteile, die in jedem von uns drinstecken. Sich davon frei zu machen, ist harte Arbeit.

Würden Sie sagen, Kinderkriegen sei ein egoistischer Wunsch?

Absolut. Diese Idee, ich schaffe mir mein eigenes Ebenbild, schwingt doch – ob bewusst oder unbewusst – beim Kinderwunsch immer mit: Das ist mein Kind, das sieht aus wie ich, dem bringe ich alles bei, dann wird es eine perfektere Version meiner selbst. Das Baby als tabula rasa. Ich fange noch mal neu an und kann alles besser machen als meine Eltern. Hinzu kommt der Gedanke: Dieser Mensch wird mich lieben, immer und bedingungslos. Dieser Begriff der bedingungslosen Liebe, der für Eltern-Kind-Beziehungen oft herangezogen wird, der kommt aus der christlichen Mythologie. Gott liebt die Menschen bedingungslos, seine Schöpfung. Wenn wir behaupten, Eltern und Kinder würden sich bedingungslos lieben, dann ist das die totale Überhöhung. Und auch Überforderung. Völlig übersteigerte Erwartungen. Und dann ist das Kind da und ist ein eigener Mensch mit eigenem Willen. Welch eine Kränkung.

Ich wollte zum Beispiel auch ein Kind, damit ich endlich jemanden zum Kuscheln hätte. Aber mein Sohn war überhaupt kein Kuschelbaby. Er wollte sich nicht dominieren lassen und hat mir sehr früh klar gemacht: Ich bin nicht deine Puppe. (lacht) Mittlerweile kommt er auch gerne kuscheln. Wenn er das möchte.

Trotzdem ist die Sehnsucht nach einem Kind sehr verständlich. Wenn es nicht klappt, kommen Wut und Trauer auf. Was für einen Umgang mit dem Thema würden Sie sich wünschen?

Ich glaube, jede Frau, die sich ein Kind wünscht und keines bekommen kann, fühlt sich schlecht, weil Frauen den Fehler meist bei sich selber suchen. Die Kinderlosigkeit wird ein Makel, man fühlt sich minderwertig. Das finde ich sehr schade. Ein offener Umgang mit dem Thema und mit Alternativen zum eigenen Kinderkriegen, etwa der Adoption, wäre sicher hilfreich.

Für Ihre Protagonistin und deren Partner ist schnell klar, dass sie es mit einer Adoption versuchen wollen. Leider ist das Adoptionsverfahren in Deutschland sehr aufwendig. Was können Sie darüber erzählen?

Man muss verheiratet sein. Ein Höchstalter gibt es nicht, aber es sollten nicht viel mehr als vierzig Jahre Altersunterschied zwischen Eltern und Kind sein. Es gibt ein Mindestalter von 21 Jahren. Paare adoptieren das Kind gemeinsam und müssen sich vorher eingehend beraten lassen. Und es gibt einfach viel mehr adoptionswillige Paare als Kinder, die zur Adoption freigegeben werden. Das heißt, selbst wenn man schon alle bürokratischen Hürden genommen hat, bleibt es Glückssache und man muss oft sehr lange warten. Das beschreibe ich in meinem Buch: Das ewige Warten auf den babybringenden Anruf ist das, was Kathi am meisten belastet. Wenn es dann klappt, darf man das Baby erst mal zu sich nehmen, aber ehe die Adoption abgeschlossen und das Kind wirklich deins ist, kann es Jahre dauern.

Inzwischen sind Sie seit vier Jahren Mutter. Wie erleben Sie das Muttersein in einem Soziotop wie dem Prenzlauer Berg? Sie sind hier aufgewachsen und haben miterlebt, wie der Bezirk sich in ein Bullerbü-Familienparadies mit Designer-Kinderwagen und Baby-Cafés verwandelt hat …

Es hat sich natürlich sehr verändert hier in den letzten Jahren. Aber das hat auch seine Vorteile. Wir leben in Pankow in einer ruhigeren Ecke, und ich genieße es, dass es für Kinder ausreichend Platz und Spielmöglichkeiten gibt und wir die Kita gleich um die Ecke haben. Im Zuge der Gentrifizierungsdebatte hat sich dieses Feinbild Mutter geformt. Die zugezogene, westdeutsche Mutter, die mittels unaufhaltsamer Fortpflanzungstätigkeit die Wohnraumverknappung vorantreibt und ehemalige Künstlerkneipen mit Muttermilch verunreinigt. Als wären Mütter die Urheberinnen der sozialen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft und nicht eine über Jahre verfehlte Wohnungs- und Sozialpolitik.

Stört Sie die Glorifizierung des Mutter- bzw. Elternseins in diesem bürgerlichen Milieu?

Ich sehe da keine Glorifizierung, sondern eine systematische Ausnutzung und Überforderung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Das hat sich doch während der Pandemie gezeigt. Niemand wurde so im Stich gelassen wie die Kinder. Spielplätze zu, Kitas zu, Schulen zu. Als wären Kinder die Ratten, die die Pandemie gebracht hätten – eklig und ansteckend, ohne Nutzen und bloß das Hobby ihrer Eltern. Die Kinder wurden gewissermaßen an ihre Eltern zurückdelegiert. Nach dem Motto, ihr habt sie gemacht, jetzt kümmert euch drum.

Und es waren größtenteils die Mütter, die das Homeschooling übernommen, den Haushalt geschmissen, die Kinder betreut und nebenbei ihren eigenen Job im Homeoffice erledigt haben. Nach 22 Uhr. Wenn die Kinder schliefen. Und das alles wurde gerechtfertigt mit dem jahrhundertealten Märchen von der Mutterliebe. Auch darum geht es in meinem Roman. Wie die Idee der Mutterliebe schon seit ihrer Erfindung vor 300 Jahren dazu benutzt wird, Frauen die alleinige Verantwortung für ihre Kinder überzustülpen.

Welche Rolle spielt der Partner? Egal, ob es um Kind, Haushalt oder Erziehungsarbeit geht?

Ohne meinen Mann könnte ich als Mutter keine Romane schreiben. Ich habe das große Glück, einen Mann zu haben, der wirklich an meiner Seite steht. Als wir ein Kind bekommen haben, hat er die volle Elternzeit genommen. „Ich habe einen Job, meine Frau hat eine Karriere“, sagt er. Ich bin mir sehr bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist. Leider.

Mit diesem Märchen von der Mutter als Superheldin, die alles schafft, Kinder, Carearbeit, Karriere, kann ich nicht dienen.

Am Ende wird, zumindest im Roman, alles gut und Kathi bekommt ihr Kind. Wäre auch ein anderes Ende vorstellbar gewesen? Es gibt Frauen, die kinderlos bleiben und damit ihren Frieden machen.

Ja natürlich, aber das wäre ein anderes Buch geworden und nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte.

 

Foto: STEPHAN_PRAMME

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