Politologin Emilia Roig: „Von der Ehe profitieren vor allem Männer!“

Politologin Emilia Roig: „Von der Ehe profitieren vor allem Männer!“

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Stefanie Staiger

Die Ehe ist ein Statement patriarchaler Machtstrukturen, sagt die Politologin Emilia Roig. Sie ist dafür neue Beziehungsformen zu fördern und die Care-Arbeit in Familien endlich gerecht zu entlohnen.

Verliebt, verlobt, verheiratet und glücklich bis ans Lebensende – diese Vorstellung von der Ehe entstammt noch der Generation unserer Großeltern und hat sich inzwischen weitestgehend überholt. Im Jahr 2021 lag die Scheidungsrate in Deutschland bei rund 39,9 Prozent. Das bedeutet, auf drei Eheschließungen kommt eine Scheidung.

Besonders nach der Geburt des ersten Kindes werden Beziehungen durch die neue Belastung mit einem Baby und die oftmals noch sehr traditionelle Rollenverteilung – Mann macht Erwerbsarbeit, Frau leistet Care-Arbeit – auf eine harte Probe gestellt. Wird es nicht langsam Zeit, die klassische, heterosexuelle Ehe als Lebensmodell zu verabschieden und sich auf neue, alternative Beziehungskonzepte einzulassen? Dafür bricht die französische Politologin und Autorin Emilia Roig eine Lanze und fordert in ihrem Buch Das Ende der Ehe eine „Revolution der Liebe“.

Wie diese aussehen könnte und warum die traditionelle Ehe für sie in erster Linie ein patriarchales Machtinstrument ist, hat sie uns im Interview erklärt.

Frau Roig, Sie beschreiben anfangs in Ihrem Buch, dass auch für Sie die Ehe eine ganz wesentliche Etappe in Ihrem Leben war. Heiraten, Kinder kriegen – warum sitzt diese Vorstellung in vielen Köpfen immer noch so fest?

Emilia Roig: Weil viele von uns, auch ich, damit aufgewachsen sind. Es ist die Vorstellung vom großen Verliebtsein, von einer Märchenhochzeit, einer glücklichen Ehe und gemeinsamen Kindern, die uns alle geprägt hat und bis heute als gesellschaftliches Ideal gilt. So habe ich das als Kind und Jugendliche zumindest vor Augen geführt bekommen: Die heterosexuelle, monogame Kernfamilie mit verheirateten Eltern und Kindern ist das große Ziel. Eine unverheiratete, kinderlose Frau ist weniger wert. So haben es uns das gesellschaftliche Umfeld, Kirche und Staat jahrhundertelang gepredigt. Solche Vorstellungen greifen tief und halten sich leider auch sehr hartnäckig.

Ende der Ehe

Ist diese Vorstellung der lebenslangen Ehe nicht auch eine Generationenfrage? Oder heiraten junge Leute nach wie vor?

Es heiraten immer noch viele Paare in Deutschland. Zwar generell eher in späterem Lebensalter, und insgesamt ging der Trend auch eher zurück in den letzten drei Jahren. Aber die Ehe als Lebensmodell ist grundsätzlich auch in der jungen Generation noch erstrebenswert. Es ist also keine Generationen-, sondern eher eine Werte- und Einstellungsfrage.

Welche Vorteile bringt die Ehe mit sich? Die meisten denken an finanzielle Sicherheit, eine bessere Steuerklasse, aber auch daran, angekommen zu sein, es „geschafft“ zu haben. Wie würden Sie es beschreiben?

Im Grunde genau so. In Deutschland genießen verheiratete Paare steuerliche Vorteile, vor allem, wenn eine Person, in der Regel der Mann, in der Ehe mehr verdient als die andere, was leider immer noch mehrheitlich der Fall ist. Das hat zur Folge, dass mehr Frauen in Teilzeit gehen und damit auf ein höheres Gehalt und später auch eine entsprechende Rente verzichten. Was völlig fatal ist. Stattdessen übernehmen die Frauen den Großteil der Care-Arbeit, sprich sie kümmern sich um Haushalt, Kindererziehung und Pflege. Und das, ohne dafür bezahlt zu werden.

Für Sie ist die Ehe deshalb vor allem ein patriarchales Konstrukt, von dem die Männer deutlich mehr profitieren als die Frauen.

So ist es. Von der Ehe profitieren vor allem Männer. Studien belegen, dass verheiratete Männer sich gesünder ernähren, länger leben und seltener krank sind. Was sie vor allem ihren Frauen verdanken. Diese wiederum fühlen sich häufiger gestresst, klagen über den „Mental Load“, weil sie den größten Teil der emotionalen und praktischen Fürsorge übernehmen und sich um Erziehung und Haushalt kümmern. Natürlich gibt es auch Männer, die viel übernehmen. Aber in der Ehe erleben wir immer noch häufig eine eher klassische Rollenaufteilung – zum Nachteil der Frauen.

Auch der Staat fördert die Ehe nach wie vor und unterstützt damit die finanzielle Abhängigkeit der Frauen. Stichwort Ehegattensplitting. Nach wie vor verdienen in den meisten Ehen die Männer mehr Geld. Was muss sich hier ändern?

Die Care-Arbeit muss endlich aufgewertet werden, und zwar sowohl in ihrem gesellschaftlichen Stellenwert als auch finanziell. Warum soll die Person, die neben ihrem Job noch den Großteil der Care-Arbeit verrichtet, dafür nicht bezahlt werden? Dafür gibt es bislang kein Gesetz, dabei würde ich das sinnvoller finden als das überholte Ehegattensplitting. Warum sollte eine Frau, die zu Hause die gesamte Care-Arbeit übernimmt, dafür nicht einen gesetzlich geregelten Teil des Gehalts ihres Partners bekommen? Wir betrachten die Finanzen innerhalb einer Ehe immer noch als „Privatsache“ und fördern damit die Abhängigkeit der Frauen. Die Care-Arbeit sollte sichtbar gemacht und bezahlt werden, das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt. Zum anderen haben wir natürlich immer noch eine Pay Gap zwischen Männern und Frauen. Sprich, Frauen verdienen in den gleichen Jobs weniger als Männer, sie sind seltener in Führungspositionen zu finden, trotz ebenso guter Qualifikation und Ausbildung. Auch hier tut sich leider noch viel zu wenig.

Verheiratet zu sein bedeutete für Frauen lange Zeit auch, dass sie ihren „ehelichen Pflichten“ nachkommen mussten, heißt: Die Ehefrau musste für ihren Mann sexuell verfügbar sein. Die Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 strafbar. Die Ehe war also auch ein Mittel sexueller Macht über Frauen?

Ja, absolut. Sex wurde als das natürliche Anrecht der Männer zu nehmen, wenn sie ihn wollten. Ob die Frauen dazu Lust hatten oder nicht, spielte gar keine Rolle. Wenn nicht, sollten sie zumindest so tun, als ob. Ich zitiere im Buch dazu ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1966, das von Ehefrauen einen „engagierten Beischlaf“ fordert, sprich: Unlust, Widerwillen oder Gleichgültigkeit durften sich die Frauen nicht anmerken lassen. Stattdessen sollten sie „in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft“ dem sexuellen Akt beiwohnen und damit ihre Pflichten als Ehefrau erfüllen.

Fordern deshalb vor allem Konservative, die Institution Ehe aufrechtzuerhalten? Weil es letztendlich um Macht geht?

Natürlich geht es um Macht. In einer patriarchalen Hierarchie haben die Männer das Sagen. Würde die Ehe abgeschafft, würde ein wesentlicher Teil dieser Macht verloren gehen. Viele Männer reagieren sehr heftig auf meinen Buchtitel und mein Plädoyer für die Abschaffung der Ehe, weil sie Macht- und damit auch Kontrollverlust fürchten. Deshalb bekomme ich für mein Buch auch Hasskommentare und Drohungen. Und die negativen Bemerkungen stammen zu 99,9 Prozent von Männern.

Schön finde ich Ihre Aussage, dass die positiven Dinge, die wir mit der Ehe assoziieren – etwa Liebe, Fürsorge, Geborgenheit –, eigentlich gar nicht an die Ehe gebunden, sondern Grundlage für jede Form von Beziehung sind. Sollten wir also Freundschaften mehr kultivieren, statt uns so auf das Ideal eines Partners zu fixieren, der alle Wünsche erfüllt?

Ja, auf jeden Fall. Wir halten viel zu oft noch die heterosexuelle, monogame Beziehung wie eben in der klassischen Ehe für die einzig glücklich machende Existenzform. Umfragen zufolge leben Paare in gleichgeschlechtlichen Beziehungen glücklicher und gleichberechtigter zusammen als verheiratete heterosexuelle Paare. Und Freundschaften halte ich ohnehin für sehr wichtig im Leben. Und sie halten oft länger als romantische Beziehungen oder Ehen. Deshalb sollten Freundschaften, aber auch alle anderen Beziehungsmodelle wie queere oder polyamore oder sonst wie geartete den gleichen Stellenwert erhalten wie die heterosexuelle Ehe.

Sie waren mit 30 bereits einmal verheiratet und haben einen Sohn. Noch einmal heiraten wollen Sie vermutlich nicht – oder doch?

Nein (lacht), ich würde nicht noch einmal heiraten. Gar nicht mal unbedingt, weil ich so unglücklich verheiratet war. Aber es war für mich einfach keine Beziehungsform, in der ich mich persönlich frei entfalten konnte.

Zur Person:

Kann man Männer lieben und zugleich das Patriarchat stürzen? – In ihrem provokanten Buch denkt die Politologin Emilia Roig darüber nach und gibt Impulse für die Abschaffung der jahrtausendealten patriarchalen Institution der Ehe.

Emilia Roig: „Das Ende der Ehe: Für eine Revolution der Liebe“, Ullstein Verlag 2023, 22,90 Euro

 

 

 

 

 

Bilder: Gettyimages, Mohamed Badarne (1), PR

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