Frühförderung von Babys: Sinnvoll oder unnötig? Eine Expertin gibt Tipps

BABY, Spielen, Wissen

Soll man Babys gezielt fördern? Wir haben eine Expertin gefragt, ob PEKIP-Kurse und Co. sinnvoll sind und ab wann Babys richtig spielen.

Liebe Frau Dr. Mikan, brauchen Babys überhaupt eine Frühförderung, oder tendieren wir dazu, unsere Kinder zu „überfördern“ und zu überfordern?

Dr. Kathrin Mikan: Tatsächlich benötigt ein Baby für eine gesunde Gehirnentwicklung hauptsächlich (mindestens) eine liebevolle Beziehung zu einer erwachsenen Bezugsperson, die dafür sorgt, dass es das Gefühl von Nähe, Geborgenheit, Sicherheit sowie ausreichend Nahrung und Schlaf erhält. Also eine Person, die auf das Baby eingeht, mit ihm kuschelt und mit ihm interagiert und ihm damit zeigt: Ich sehe dich und ich beschütze dich!

In der Regel ist eine besondere Förderung mit speziellen Programmen oder Spielsachen nicht notwendig. Tatsächlich können zu viele Reize sich auch negativ auf die Gehirnentwicklung auswirken.

Wenn Eltern sich für eine Frühförderung entscheiden möchten: Ab wann halten Sie das für angebracht?

Da ich selbst in einer Frühförderstelle gearbeitet habe, verbinde ich den Begriff „Frühförderung“ mit den Angeboten dort. Diese richten sich an Familien mit Kindern mit (drohender) Behinderung oder möglichen Entwicklungsbeeinträchtigungen bis zur Einschulung.

Wenn Eltern also auffällt, dass ihr Kind „irgendwie aus der Norm“ fällt, es sich anders als gleichaltrige Kinder entwickelt, es zum Beispiel Schwierigkeiten in seiner Wahrnehmung oder Probleme beim Laufen- oder Sprechenlernen zeigt, dann ist es gut, mit einer Diagnostik genauer hinzuschauen, um das Kind, falls nötig, in seiner Entwicklung zu unterstützen. Wenn Sie unter „Frühförderung“ meinen, ab wann etwa Spielgruppenangebote angenommen werden sollten, so kann man dabei bedenken, dass Kinder ab 2 bis 3 Jahren beginnen, andere Kinder als Spielkameraden zu begreifen. 

Babies entwickeln sich auch ohne Frühforderungskurse in der Regel ganz normal | Bild: Getty

Was macht eine gute Frühförderung für Kleinkinder aus? Wie sollten Eltern an die Wahl eines Angebotes/Kurses herangehen?

Das kommt ganz auf das Alter des Kindes an. Aufmerksam wäre ich bei der Wahl der Kursleitung: Welche Ausbildung hat sie? Auf welchen Grundlagen basieren die Kurse? Vorsichtig bei Heilungsversprechung oder auch bei Kursen, die eine „bessere oder gesündere“ Gehirnentwicklung versprechen.

Prinzipiell sollten Kurse als Angebote gesehen werden, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und ihnen Möglichkeiten und Erfahrungen zu bieten. Es gibt diesen bekannten Spruch „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“.

Es gibt Eltern, die lehnen PEKIP-Kurse ab oder verpassen ihnen einen Klischee-Stempel. Wie erklären Sie sich diesen Vorbehalt?

Vielleicht, weil diese Förderprogramme auf gewisse Weise „gehyped“ werden – ist man nur eine „gute Mutter“ oder ein „guter Vater“, wenn man einen Babyförderkurs mitgemacht hat? Prinzipiell gilt: Babys brauchen in erster Linie sichere Bezugspersonen. Sie brauchen per se keine speziellen Babykurse, aber durch soziale Kontakte zu anderen Eltern können Eltern gestärkt werden und im angeleiteten Austausch sensibler für Äußerungen und Bedürfnisse ihrer Kinder werden.

Natürlich stellt sich die Frage, ob nicht Eltern, die offen für solche Kurse sind, sowieso schon sensibel auf ihre Kinder eingehen. Darum könnte man solche Kurse vielleicht als bindungsstärkendes Angebot wahrnehmen und als Kontaktmöglichkeit für Eltern und Babys sehen.

Das Spielen mit anderen Kindern ist entscheidend für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten. Brauchen Babys andere Babys als Spielgefährten?

Menschen sind soziale Wesen, auch Babys. Der Unterschied zwischen dem Spiel mit Kindern und dem Spiel mit Erwachsenen ist, dass das Spiel mit Kindern viel unkontrollierter und unvorhersehbar ist. Wenn Kinder nur den Kontakt mit Erwachsenen gewöhnt sind, kann das zum Teil „wilde“ und (im Vergleich zu Erwachsenen) sehr „impulsive“ Verhalten von anderen Kindern diese Kinder dann erschrecken.

Der Umgang mit anderen Menschen und Lebewesen ist also durchaus „Übungssache“. Als Spielgefährten nehmen Kinder andere Kinder erst ab circa zweieinhalb oder drei Jahren wahr. Dann erst hat das Kind die nötige soziale und emotionale Reife entwickelt, mit anderen Kindern zu teilen, beim Spielen abzuwarten und langsam auch, sich in andere hineinzuversetzen (etwa ab dem 3./4. Lebensjahr).

Mit altersgerechtem Spielzeug werden die motorischen Fähigkeiten trainiert | Bild: Getty


Ab wann kann man das Spielen bei Babys als bewusstes Spielen bezeichnen? Ab wann nehmen sie Spielzeug als solches wahr?

Ab circa 3 Monaten beginnen Babys nach Dingen zu greifen und diese zu untersuchen. Das können Greifringe oder Rasseln sein, aber natürlich auch die eigenen Füße oder babygerechte Gegenstände („Funktionsspiel“ oder auch „Sensomotorisches Spiel“ genannt). Vorsicht ist jetzt geboten, denn gerne werden Dinge auch mit dem Mund untersucht. Spätestens jetzt ist es also wichtig, die Wohnung „babysicher“ zu machen. Mit circa 2 Jahren beginnen Kinder zum Beispiel Türme zu bauen (sogenannte Konstruktionsspiele) und mit circa 2 bis 4 Jahren entwickeln sich „Fantasiespiele“ – dann wird etwa aus Holzsteinen ein Zoo und aus einem Tannenzapfen ein Löwe. In diesem Alter kommt es dann auch Schritt für Schritt zu mehr Interesse an Rollenspielen und erste Regelspiele (wie Tempo, kleine Schnecke, Obstgarten etc.) werden möglich.

Das Interesse an anderen Babys besteht zwar schon ab etwa 6 Monaten und ab etwa 12 Monaten beginnen sie nebeneinander her zu spielen, aber bis zum Alter von circa 3 Jahren sind die Eltern, Erwachsene oder ältere Kinder bevorzugte Spielpartner.

Wie viel Förderung ist angemessen?

Begleiten Sie Ihr Baby Schritt für Schritt. Wenn Sie aufmerksam auf Ihr Kind achten, wird es Ihnen zeigen, was es braucht.

Ein 3 Monate altes Baby hat in der Regel nur eine sehr kurze Aufmerksamkeitsdauer. Es ist also absolut normal, wenn es unter einem Mobile oder Spielbogen bald anfängt unruhig zu werden. Achten Sie darauf, das Baby nicht zu überreizen – weniger ist mehr!

Sie als erwachsene Bezugsperson sind in diesem Alter noch die wichtigste „Förderung“. Reden Sie mit Ihrem Baby und wundern Sie sich nicht, wenn Sie in „Babysprache“ (sogenannte „Motherese“) verfallen. Das ist normal und gut, denn diese besondere Art und Weise, wie wir mit Babys, sprechen schult ihr Gehör und ihre Sprachentwicklung! In der Regel tendieren wir eher dazu, unsere Kinder zu überfordern und zu überreizen.

Wenn Ihr Kind beginnt, Interesse an anderen Kindern zu zeigen, können Sie gemeinsam am Spielplatz, aber natürlich auch in Spielgruppen andere Kinder kennenlernen (solange es die Corona-Situation zulässt).

Welchen Ratschlag können Sie Neu-Eltern in Bezug auf die Entwicklung ihres Babys mit auf den Weg geben?

Haben Sie Vertrauen in Ihr Kind und in sich selbst und nehmen Sie sich die Zeit, in die neue Rolle hineinzuwachsen. In der Regel sind Sie als Mama oder Papa völlig ausreichend, um Ihr Baby in einer gesunden (Gehirn-) Entwicklung zu fördern! „Förderkurse“ können aber Abwechslung im Babyalltag und den (oft so dringend nötigen) Austausch mit anderen Eltern schaffen. Wichtig ist hier, auf die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse des Kindes zu hören – denn jeder von uns ist einzigartig!

 

Zur Person:

Dr. Kathrin Mikan hat langjährige Erfahrung als Kinderpsychologin und gründete 2020 die „Superheldenkids“, um Kinder vorausschauend für die Zukunft zu stärken. Sie bietet Materialien für Kinder ab 3 Jahren und Kurse für Kinder, Eltern und Fachpersonal an. Dabei geht es um die Stärkung der sozialen und emotionalen Kompetenzen von Kindern.superheldenkids.de

Bilder: Gettyimages

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