Glückliche Stillbeziehung – Das rät die Hebamme

Glückliche Stillbeziehung – Das rät die Hebamme

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Uli Morant

Was braucht eine glückliche Stillbeziehung? Vor allem Geduld, sagt Hebamme Kerstin Lüking. Und sie hat noch viele weitere Tipps parat, damit aus Mama und Baby ein Still-Dreamteam wird

Frau Lüking, wie entsteht eine glückliche Stillbeziehung zwischen Mutter und Baby und was braucht man dafür?

Kerstin Lüking: Also ganz wichtig ist, dass man möglichst gleich nach der Geburt eine gute Anleitung und Unterstützung hat und nicht alleingelassen wird. Auch die nächsten Tage sollte man gut begleitet und beim Anlegen korrigiert werden.

Muss ich mich als Schwangere aufs Stillen vorbereiten, also zum Beispiel die Brustwarzen unempfindlicher machen?

Das ist aus Hebammensicht völlig unnötig! Manche Frauen schrubbeln mit Zahnbürsten an ihren Brustwarzen herum, was völlig sinnlos ist und eher die Gefahr birgt, vorzeitige Wehen auszulösen. Von solchen Sachen sollte man bitte die Finger lassen. Es ist aber durchaus sinnvoll, sich im Vorfeld Gedanken übers Stillen zu machen. Also auch, wen man zur Geburt mit in die Klinik nimmt und mit wem man die ersten Stunden mit Baby verbringen will. Ist es die Hebamme, der umsorgende Partner, die Partnerin, eine gute Freundin …

Stillen ist gerade in der ersten Zeit gewöhnungsbedürftig, schon der Milcheinschuss ist ein komisches Gefühl. Was raten Sie Frauen, die das das erste Mal erleben und vielleicht irritiert sind von den eigenen Körperfunktionen?

Stillen ist nicht das, was uns in der Werbung suggeriert wird, wo die geschminkte Wöchnerin selig in die Kamera lächelt mit ihrem glücklich schmatzenden Baby an der Brust. Es ist ein komisches Gefühl ein Kind an der Brust zu haben, es ist oft auch schmerzhaft, denn gerade die ersten vierzehn Tage muss man mit dem sogenannten Ansaugschmerz rechnen, den man nicht unterdrücken kann. Damit muss man leben und das muss man im Vorfeld wissen, damit man durchhält – was sich ja durchaus lohnt, wenn sich alles eingespielt hat.

Stillbeziehung

Viele Frauen legen das Baby falsch an und haben dadurch unglaubliche Schmerzen. Reicht es, wenn mir das eine Schwester im Krankenhaus zeigt oder würden Sie dafür plädieren, dass das in jedem Fall eine Hebamme macht?

Letztendlich ist es egal, ob es eine Hebamme ist, die Stillberaterin oder auch der Partner oder die Partnerin – wichtig ist, dass jemand von außen draufguckt, weil die Frauen sich oft gar nicht die Zeit nehmen sich zum Stillen ordentlich hinzusetzen. Da liegt oft der erste Fehler, denn ein entspanntes, schmerzloses Stillen hängt oft schon von der Positionierung von Mutter und Kind ab. Die Mutter soll sich entspannt hinsetzen, vielleicht in ein Stillkissen einmuckeln, dieses bei Bedarf noch unterfüttern mit weiteren Kissen. Erst wenn sie die richtige Haltung gefunden hat, wird das Kind angelegt. Immer Bauch an Bauch, so, dass das Baby eine Linie bildet, genauer gesagt: Ohren, Schulter, Hüfte bilden eine Linie.

Wichtig ist auch, das Baby zu wenden, also in andere Stillpositionen zu bringen, damit die Brustwarze nicht immer nur an einer Stelle maximal belastet wird. Dadurch verteilt sich die Kraft, die der Unterkiefer des Babys auf die Brust der Mutter ausübt, was wiederum die Brustwarze weniger strapaziert.

Was würden Sie Frauen sagen: Wie lange braucht man Geduld, bis es mit dem Stillen gut klappt?

Man braucht mindestens acht Wochen Geduld. Die erste Zeit ist oft holprig. Aber ich erlebe das immer wieder: Nach acht Wochen ist es, als hätte man einen Schalter umgelegt. Dann funktioniert das Stillen und die Frauen sind unglaublich stolz, dass sie trotz Schmerzen und anfänglicher Probleme durchgehalten haben.

Frauen, die nicht stillen möchten, fühlen sich schnell moralisch unter Druck. Bestärken Sie diese Frauen in ihrer Entscheidung, nicht zu stillen, oder was ist Ihre Strategie?

Ich frage die Frauen natürlich nach ihren Beweggründen, aber ich bin nie ermahnend. Ich finde, der Mutter muss das frei überlassen werden. Sie wird ihre Gründe haben – und wenn es nur der Schmerz ist, den sie schlecht ertragen kann. Für diese Frauen ist es oft wie ein Befreiungsschlag, wenn man zu ihnen sagt: Du bist eine gute Mutter, auch wenn du nicht stillst. Ich finde, wir müssen weg davon, es zu verurteilen, wenn eine Frau entscheidet, dass sie nicht stillen möchte. Sie wird ihren Grund haben und das muss man akzeptieren.

Auch das überlange Stillen wird kontrovers diskutiert, denn es kann das Auftreten von Osteoporose begünstigen. Was sagen Sie als Hebamme zu langem Stillen?

Ich habe meine eigenen Erfahrungen, fast schon eine eigene kleine Studie, mit meinen sieben Kindern dazu gemacht. Gerade bei meinem letzten Kind wollte ich besonders lange stillen und habe tatsächlich zweieinhalb Jahre durchgehalten. Heute ist meine Tochter sieben Jahre alt und ich kann in der Rückschau sagen, dass das lange Stillen vielleicht nicht die beste Idee war.

Wenn man das machen möchte, muss man sich sehr um den eigenen Körper kümmern, damit man keine Probleme kriegt. Ich habe mich dennoch für das lange Stillen entschieden, weil es auch als die beste Prophylaxe gegen Brustkrebs gilt. Es gibt immer dieses Für und Wider, das muss man für sich selbst abwägen. Es sollte aber nie so sein, dass eine Mutter bis „Kante Anschlag“ stillt. Wenn sie merkt, sie ist kraftlos, die Haare brechen ab, die Haut wird trocken und faltig und sie fühlt sich wie ausgelutscht, dann hat sie alles Recht der Welt zu sagen: Jetzt ist es genug!

Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll, um die Stillphase gut zu überstehen?

Ich würde diese nicht wahllos einnehmen, sondern auf jeden Fall vorher die Blutwerte kontrollieren lassen. Wenn hier ein Mangel festgestellt wird, dann würde ich auch Nahrungsergänzungsmittel empfehlen. Wichtig ist natürlich auch, dass man sich gut ernährt, Sport macht, genügend schläft und einfach einmal Zeit für sich hat – ohne Kind und Familie. Man muss abschalten dürfen, damit man seine Nerven regenerieren kann.

Was sind die häufigsten Stillprobleme, mit denen Sie konfrontiert werden?

Ganz klar: wunde, schmerzende Brustwarzen und Brustentzündungen. Was jede Hebamme im Moment bestätigen kann ist, dass wir „dank Corona“ mit diesen Problemen weniger konfrontiert werden. Denn die Frauen haben durch die neue Situation weniger Stress, vielleicht auch weil es weniger Besuche im Wochenbett gibt.

Stillen ist ein Wechselspiel der Hormone. In dem Moment, wo ich Stress habe, schütte ich Adrenalin aus. Das blockiert die Ausschüttung von Oxytozin. Das heißt, die Muttermilch wird zwar gebildet, fließt aber nicht richtig ab. Dadurch entsteht ein Milchstau. Frauen müssen sich klarmachen, dass man Stress im Wochenbett unbedingt vermeiden sollte.

Verraten Sie uns Ihre drei SOS-Tipps bei wunden Brustwarzen?

Ich empfehle gern eine Augen- und Nasensalbe, die man eigentlich bei Erkältungen verwendet. Man kann die Brustwarzen aber auch mit schwarzem Tee pflegen, wichtig ist auch, viel Luft ranzulassen. Es gibt zudem silberne Stillhütchen, die sehr gute Wirkung zeigen, denn Silber hat eine desinfizierende Wirkung. Auch Stilleinlagen aus Wolle, in die ein Silberfaden mit einwebt ist, empfehle ich gerne. All das hilft nach meiner Erfahrung sehr gut.

Sie sind eine große Verfechterin des Wochenbettes. Was ist entscheidend für diese erste Phase nach der Geburt?

Ich rate allen Frauen schon in der Schwangerschaft das Wochenbett zu organisieren. Wer kann mich in dieser Zeit bekochen, wer kann mal die Betten überziehen, aufräumen oder die Wohnung putzen? So vieles an Hausarbeit lässt sich problemlos outsourcen.

Auch die Antragsformulare sollten schon in der Schwangerschaft fertiggemacht werden und nicht nach der Geburt. Dafür hat man dann keine Zeit mehr. Vielleicht kann man auch die ersten Tage die Geschwisterkinder bei den Großeltern unterbringen und sich ganz auf das Baby konzentrieren. Zudem sollten die Mütter darauf achten, dass sie genug Schlaf kriegen, dass ihnen das Baby auch einmal abgenommen wird und sie zur Ruhe kommen. Im Wochenbett ist es wichtig, so viel Unterstützung wie möglich zu erhalten.

Aber man hat das Gefühl, das Wochenbett kommt ein wenig aus der Mode, oder?

Ja, früher war dieses Umsorgen nach der Geburt ganz normal, heute fehlt es leider oft. Ich habe den Eindruck die Frauen wollen ganz schnell wieder funktionieren, wieder schön sein, schlank sein, eben all das, was uns jeden Tag in den sozialen Netzwerken gezeigt wird. Aber so ist das Leben nicht!

In den ersten zwei, drei Wochen nach der Geburt sind wir in einer anderen Welt, in einer Blase, wo man sich wieder neu mit seinem Körper anfreunden und ihm Zeit geben muss. Man sollte einfach akzeptieren, dass man gerade nicht so funktioniert wie sonst.

Wenn es mit dem Stillen nicht gut klappt, schicken viele Hebammen Mutter und Baby zum Osteopathen. Kann so eine Behandlung wirklich helfen?

Wir Hebammen lassen uns eigentlich immer erzählen, wie die Geburt abgelaufen ist, wenn wir nicht selbst mit dabei waren. Daraus können wir schon viele Rückschlüsse ziehen, gerade wenn es mit dem Trinken nicht auf Anhieb klappt, wenn der Säugling zum Beispiel das Köpfchen zur Seite dreht, sich von der Brust wegschiebt oder auf dem Wickeltisch krumm wie eine Banane liegt.

Behandlungen beim Osteopathen wirken da oft Wunder – auch für die Stillbeziehung. Ich finde es schade, dass diese Behandlung von den Kinderärzten oft noch wenig akzeptiert wird. Dabei sind Osteopathen sehr gut ausgebildete Therapeuten.

Viele frischgebackene Mütter machen sich schnell Sorgen, wenn das Baby nachts nicht durchschläft und glauben, sie machen etwas falsch. Oder sie wecken es nachts auf, damit es trinkt. Was sagen Sie dazu?

Jedes Baby hat seinen eigenen Rhythmus. Man wird Kinder haben, die schlafen von 23 Uhr bis 6 Uhr früh schon durch, und dann gibt es welche, die alle zwei Stunden aufwachen und gestillt werden wollen. Man muss einfach akzeptieren, dass all das normal ist.

Ein Kind, das nachts fünf Stunden am Stück schläft, muss ich nicht wach machen. Wenn es ordentlich trinkt und zunimmt, dann darf es einfach schlafen. Nur bei Kindern, die am Anfang wirklich „schmal“ sind, wo man gucken muss, dass sie entsprechend zunehmen, da sollte man vielleicht nachts zusehen, dass sie trinken. Aber bei einem Kind, das nachts ganz schlecht trinkt, weil es so müde und nicht richtig wachzukriegen ist, kann ich nur sagen: Lasst es in Ruhe. Das kommt schon!

Stillen Mutter

5 hilfreiche Tipps für stillende Mütter

Ausreichend Schlaf
Legen Sie sich hin, wann immer es geht. Wenn das Baby Mittagsschlaf macht, legen Sie sich einfach dazu. Schlaf ist der beste Stresskiller und sorgt dafür, dass Sie gesund bleiben.

Ruhe einfordern
Besuch ist wunderbar, aber gerade in der ersten Zeit kann er auch Stress bedeuten. Und die Ausschüttung von Adrenalin hemmt nachweislich den Milchfluss. Je ruhiger Sie die ersten Wochen mit Baby verbringen können, desto besser ist es für Sie beide.

Gesunde Ernährung
Gerade jetzt braucht Ihr Körper Energie und eine ausgewogene Ernährung mit vielen Vitaminen und Spurenelementen. Da Babys ausschließlich über die Muttermilch mit für die Entwicklung wichtigen Omega-3-Fettsäuren versorgt werden, sollten Sie auch hier auf eine ausreichende Zufuhr achten, zum Beispiel über hochwertige Omega-3-Öle von Fischen oder Algen.

Hilfe annehmen
Gerade in den ersten Wochen sollten Sie sich so viel Unterstützung wie möglich organisieren. Nutzen Sie Lieferdienste, nehmen Sie Hilfe von Freunden und Verwandten an und vor allem: Verabschieden Sie sich von Ihrem Perfektionismus.

Achtsam sein
Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Sie das Baby für ein paar Stunden abgeben. Gerade jetzt sollten Sie jede Gelegenheit nutzen, um Kraft zu tanken, sich um Ihr eigenes Wohlbefinden zu kümmern, zur Ruhe zu kommen. Ihr Körper hat Großartiges geleistet und braucht diese Entspannungsphasen dringend.

 

Zur Person:

Kerstin Lüking arbeitet als freiberufliche Hebamme in Berlin. Sie ist Mutter von sieben  Kindern und schreibt zudem noch Bücher. Von ihr erschienen sind unter anderem „Die Wochenbetthebamme“ und aktuell „Der Survival Guide für Mamas“.

 

Bilder: Gettyimages

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