Baby

Experteninterview: Geburt – die natürlichste Sache der Welt

SCHWANGERSCHAFT, Wissen

Uli Morant

Wohin zur Entbindung? Die meisten werdenden Mütter entscheiden sich für eine Klinik. Wir haben Dr. Maria Delius, die Leiterin des Perinatalzentrums Innenstadt des LMU-Klinikums in München gefragt, wo die Geburtsmedizin heute steht, welche Trends es gibt und ob ein Geburtsplan hilfreich ist.

Frau Dr. Delius, was hat sich in den letzten zehn Jahren an großen Themen bei der Geburtshilfe verändert? Gibt es Neuigkeiten in dem Bereich?

Dr. Maria Delius: In der Geburtshilfe gibt es gerade nicht so viele und nicht so wirklich großartige Innovationen. Wo es dagegen Neues gibt, ist in der pränatalen Diagnostik und in der Kinderwunschtherapie, sowie in der Forschung zur sogenannten perinatalen Programmierung, d.h. die Einflüsse der Umwelt auf das Kind, die schon im Mutterleib Bedeutung haben. Mittlerweile stehen mehr Möglichkeiten und Methoden zur Verfügung um genetische Erkrankungen zu erkennen, zum Beispiel durch Bluttests, die NIPTs, mit denen man unter anderem auf Trisomie oder andere Gendefekte schauen kann. Hier wird sich auch in Zukunft noch einiges tun und die Standardleistungen werden sich nach und nach verändern.

Auch bei der Kinderwunschtherapie gibt es Innovationen. Wir sehen in der Klinik in den letzten Jahren viele Frauen, die mit Eizellspenden schwanger wurden. Diese sind zwar bisher nicht erlaubt in Deutschland, aber natürlich gehen auch deutsche Frauen ins Ausland um eine Eizellspende zu erhalten, wenn sie sonst keine Möglichkeit haben schwanger zu werden.

Dadurch, dass es solche Methoden gibt wie Eizellenspenden und andere, behandeln wir auch mehr Mütter, die Vorerkrankungen haben oder schon älter sind und auf natürlichem Wege vielleicht nicht so leicht hätten schwanger werden können. Das macht natürlich auch die Schwangerschaften komplexer, weil es viel mehr Grunderkrankungen gibt und aufgrund dessen auch häufiger komplizierte Situationen bei den Schwangeren auftreten können.

Ein weiteres Gebiet in dem sich viel getan hat, ist die Entwicklung neuer Medikamente für Schwangere. Es gibt neue Präparate gegen Wehen und gegen Blutungen – und natürlich werden auch die Ultraschallgeräte immer besser.

Geburt

Gibt es auch in der reinen Geburtsmedizin Innovationen, also beim Geburtsvorgang?

Da gibt es weniger Innovationen, es gibt eher Trends. Es gab einen Trend zum Kaiserschnitt, auch zum Wunschkaiserschnitt, jetzt geht es eher wieder weg davon.

Ich würde sagen, die Hochphase des sogenannten Wunschkaiserschnitts war ungefähr so um 2000 herum, aber der ist inzwischen weniger gefragt, wir machen ihn hier an der Klinik übrigens auch gar nicht. Es geht also eher wieder in Richtung normale Geburt. Lange Zeit hieß es auch, wenn man einmal mit Kaiserschnitt entbunden hat, gilt das für alle weiteren Geburten. Inzwischen wird nach einem Kaiserschnitt die normale Geburt empfohlen, wenn die Voraussetzungen passen.

Also bleibt da eher alles beim Alten?

Ich glaube Innovationen in der Geburtshilfe sind nicht so sehr zu erwarten. Die Probleme verändern sich oder die Trends verändern sich und dann wird in der Geburtshilfe darauf reagiert.

Wie nehmen Sie die Frauen in der Klinik in Empfang? Gibt es von der Klinik vorbereitende Gespräche?

Ja, bei der Geburtsanmeldung in der Klinik werden Fragen zur Geburt durch Hebammen und Ärzte und Ärztinnen besprochen. Natürlich, wenn es Schwierigkeiten oder absehbare Komplikationen gibt, bieten wir an, die Frauen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis zu betreuen.

Haben Sie das Gefühl, Frauen die zum ersten Mal gebären sind eher gut oder eher schlecht auf die Geburt vorbereitet?

Meine Erfahrung ist, dass manche viel zu gut vorbereitet und dadurch sehr „verkopft“ sind. Viele kommen mit einem ganz genauen Geburtsplan – aber bei einer Geburt ist eben vieles nicht planbar.

Natürlich ist es gut einen Vorbereitungskurs zu machen, was die meisten Frauen auch tun. Es gebären aber nicht zwingend die besser, die sehr gut vorbereitet sind. Tatsächlich sind es eher die Frauen, die sich auf die Geburt einlassen. Kurz: Wenn ich keinen genauen Plan im Kopf habe, dann habe ich große Chancen auf eine gute Geburt.

Woran liegt das wohl, was denken Sie?

Ich glaube es liegt zum Teil daran, dass suggeriert wird, wenn ich mich vorbereite, dann läuft es so ab wie ich mir das vorstelle. Aber die Natur ist so nicht. Für uns Geburtsmediziner ist dies eine Einstellung, die es manchmal etwas mühsam macht, denn es gibt Situationen da müssen wir einfach eingreifen.

Ich denke man muss sich immer wieder klar machen, dass wir es hier in Deutschland was die medizinische Versorgung der Gebärenden angeht, sehr gut haben. Es gibt alle Sicherheitsvorkehrungen. Wenn wir sie nicht brauchen und alles seinen natürlichen Gang geht, ist das wunderbar. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass es gut läuft, denn jede Geburt ist anders. Und es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen: ich bereite mich so und so vor und dann läuft es auch gut. Die Frauen, die sich zwar auf das Geburtserlebnis vorbereiten aber auch offen dafür sind, wie sich alles entwickelt, bei denen klappt es meist am besten. Wenn man Vertrauen hat und nicht versucht die Situation im Kopf steuern zu wollen, dann ist es am allerbesten.

Baby Geburt

Viele Frauen wissen jedoch gar nicht, wie sie mit den Schmerzen umgehen sollen…

Ja klar, das ist ja auch ein ungewöhnlicher Schmerz, wann hat man das sonst schon. Wichtig ist dabei, sich nicht zu sehr zu versteifen – auch nicht auf eine Idee. Vielleicht läuft alles gut, doch wenn der Geburtsvorgang zum Beispiel sehr lange dauert ist eine PDA vielleicht doch die bessere Entscheidung.

Darum ist es aus meiner Sicht auch gut, wenn die Geburtsvorbereitung über die Hebammen läuft und möglichst wenig davon in der Klinik stattfindet, damit man das Ganze nicht so ins Pathologische und damit auch ins vermeintlich Planbare zieht, sondern die Frauen positiv unterstützt und sagt: Vertraut eurem Körper, das ist ein Vorgang der normalerweise funktioniert – aber eben auch manchmal fehleranfällig ist. Im Prinzip ist genau dafür die Klinik da: einzuschreiten, wenn es nicht so gut läuft und Komplikationen auftreten. Für die ganz normale Geburt wäre das ja gar nicht nötig.

Haben viele Frauen, die bei Ihnen in der Klinik entbinden, einen Kaiserschnitt?

Nein, die Rate hier an der Klinik ist niedrig und die Mehrzahl der Geburten läuft gut. Wir haben super Hebammen und eine Kaiserschnittrate von etwa 20 Prozent, was für eine Uniklinik sehr niedrig ist.

Das heißt es gibt in einer Uniklinik generell mehr Kaiserschnitte?

Ja, weil wir viele Mütter aufnehmen, die schon Komplikationen mitbringen, wie das Risiko für eine Frühgeburt oder eine Plazenta Praevia. Das führt zwangsläufig zu mehr Kaiserschnitten. Wir haben aber auch viele, die nach einem Kaiserschnitt kommen und normal gebären. Durchschnittlich liegt die Kaiserschnittrate an einer Uniklinik etwa zwischen 30 und 35 Prozent.

Wie bereiten Sie Ihre Teams bei einer Geburt darauf vor, dass sie gut zusammenarbeiten?

Bei uns funktioniert die Zusammenarbeit grundsätzlich sehr gut, wir trainieren immer wieder gemeinsam Situationen z.B. in lebensechten Simulationen. Wir führen täglich gemeinsame Besprechungen durch und nutzen in schwierigen Fällen auch eine Supervision. Wir hatten hier an der Klinik lange eine Hebammenschule, jetzt sind es Hebammenstudentinnen, zudem haben wir junge Assistenzärzte und -ärztinnen, die im Kreißsaal mit dabei sind. Außerdem gibt es noch die Oberärztinnen und Oberärzte, die bei der Geburt mit dabei sind und helfen, wenn die anderen vielleicht nicht weiterkommen…

Haben Sie den Eindruck, die Klinik muss inzwischen mehr bei der Geburtsnachsorge übernehmen, was früher eher innerfamiliär geregelt wurde, also zum Beispiel wie man richtig stillt usw. …?

Ich glaube das ist ein kritischer Punkt, der an einer Klinik nicht so gut aufgehoben ist. Natürlich brauchen die Frauen eine Stillberatung, aber die sollte nicht zwingend in der Klinik erfolgen. Da sollte man eher auf die Nachsorge zuhause durch die Hebamme setzen. Die Schwestern in der Klinik sind in erster Linie dafür da, kranke Personen zu versorgen, also zum Beispiel Frauen nach einem Kaiserschnitt, oder Frauen, die bei der Geburt viel Blut verloren haben, denn diese haben ein höheres Risiko. Außerdem müssen die Schwestern auch die Kinder auf der Wochenstation betreuen. Da bleibt viel zu wenig Zeit, um sich um die „ganz normalen“ Mütter zu kümmern. Natürlich wäre es schön, hier mehr Beratung zu haben, aber ich denke es ist wirklich besser das auszulagern und die Hebammennachsorge auch politisch mehr zu stärken. 

 

Dr. Delius

 

Zur Person:

Dr. med. Maria Delius leitet das Perinatalzentrum Innenstadt der LMU Frauenklinik in München. Sie ist außerdem Frauenbeauftragte der medizinischen Fakultät und Mutter von drei Kindern.

 

 

 

 

Bilder: LMU Perinatalzentrum Frauenklinik München, Gettyimages

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