Stilkolumne: Die Revolution der Latzhose

Stilkolumne: Die Revolution der Latzhose

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Stephanie Baumgärtner

Der Einteiler genießt uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Das Einzelkind der Schwangerenmode fällt auf, wo auch immer es in Erscheinung tritt. Früher auf Baustellen und im Sandkasten, heute auf Laufstegen und roten Teppichen. Doch die Welt scheint in Sachen Einteiler noch zweigeteilt: klischeebehaftete Modesünde oder ausgehtauglicher Trend?

John Lennon und die Brille. Steve Jobs und der Rollkragen. Peter Lustig und die Latzhose. Wenn Mensch und Kleidung verschmelzen, gibt es kein Zurück. Die Assoziation ist in Stein gemeißelt, die Verbindung standhafter als jede Ehe. In 24 Jahren „Löwenzahn“ schaffte der lustige Onkel aus dem Fernsehen, die Neugier der Kinder zu erwecken. 24 Jahre spaßige Geschichten. 24 Jahre Sätze wie: „Heute werde ich Entdecker“. „Heute hauen wir auf die Pauke“. Doch nie ein: „Heute ziehe ich mir eine andere Hose an.“

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Hatch Collection

 

Die Latzhose ist Peter Lustig. Und Peter Lustig ist die Latzhose. Soviel ist selbst jenen Kindern klar, die unter strenger elterlicher Führung nie fernsehen durften. Der Mann im Blaumann war ein vielbeschäftigter, arbeitete im Freien, hatte stets viel zu tun. Was wiederum einer jener Gründe für die Klischeebehaftung sein könnte: die Latzhose als das ultimative Modell für ultimativ hartarbeitende Männer. 1911 entwickelte der Amerikaner Henry David Lee – der bereits 1889 die Marke Lee gründete – das erste Latzhosen-Modell. Der sogenannte BIB-Overall, wobei bib soviel bedeutet wie Lätzchen, galt als strapazierfähige Kleidung in Jahren schwerer Industriearbeit. Die Hose aus blauem Denim gewann besonders bei Farmern schnell an Beliebtheit, bot Platz für allerlei Werkzeug und sonstigen Kram. Die Uniform der amerikanischen Arbeiter war geboren. In den 70-Jahren wandte sich das Blatt: Aus der blauen Arbeiterhose erwuchs die „Lila Latzhose“ als Zeichen der Frauenbewegung. Lila sollte die Vereinigung des männlichen Blau mit dem weiblichen Rosa und damit die Gleichstellung der Frau darstellen. Und wenn man schon dachte, es kann nicht weniger werden, sank mit zunehmender Emanzipation potenziell der Attraktivitätsgrad der einstigen Arbeitshose. Gleichstellung hin oder her, schön war etwas anderes. Die modische Entwicklung mündete schließlich in den 80er-Jahren (in Kombination mit den ökologisch-einwandfreien Birkenstocks) in der Uniformität der schwangeren Frau. Die werdende Mutter degradiert als schutzspendendes Fleischhaus mit wenig ansehnlicher, wenn auch robuster Fassade?

Getty Images: Kirstin Sinclair

Getty Images: Kirstin Sinclair

 

Was können wir froh sein, nicht mehr in den 80er- und 90er-Jahren zu leben. Heidi Klum designt heute eigene Modelle für Birkenstock und aus Latzhosen-tragenden Aaron Carters wurden tätowierte Justin Biebers. Ja, und auch die Latzhose verschaffte sich ein vollkommen neues Image. Tituliert als „Jumpsuit“ wird sie auf roten Teppichen und zu Abendveranstaltungen getragen. Große Modehäuser wie Hermès oder Chloé lassen sie aus der Bauarbeiter-Grube wie Phoenix aus der Asche auferstehen und in neuem Licht erstrahlen. Statt in verwaschenem Denim heute in glattem Leder, glänzender Seide oder luftiger Spitze.

Getty Images: Melodie Jeng

Getty Images: Melodie Jeng

 

Tragen kann sie dabei fast jeder. Nur eine gewisse Körpergröße sollte gegeben sein. Weiblich-geformten Damen wird geraten, das gute Stück tailliert und mit geradem Bein zu tragen, um nicht gestaucht zu wirken. Mit der emanzipierten Version des Kleides steht einem gepflegten Abendprogramm nichts mehr im Wege. Ausgenommen dem Toilettengang. Die zuvor noch hochgelobte Bewegungsfreiheit wird ihnen hier zum Verhängnis. Denn jetzt heißt es: blank ziehen, um sich zu erleichtern!

Wie die Menschheit scheint auch die Latzhose eine Evolution durchlebt zu haben. Vom im Sandkasten liegenden Baby und den gebückt schuftenden Arbeiter über die gekrümmt gehende Schwangere bis hin zur stolzen, aufrecht gehenden Mutter, die sich auch während der Schwangerschaft stilvoll präsentiert. Darwin würde applaudieren. Damit sollte sich also die Frage nach der Trendtauglichkeit selbst beantwortet haben. Und falls doch noch Zweifel bestehen … wie wir alle wissen, sind Einteiler doch immer die bessere Wahl. Oder haben Sie es jemals durch einen ZDF-Mehrteiler geschafft?

Slider von links nach rechts: Getty Images Stefan Gosatti, Kirstin Sinclair, Dove; Hatch Collection
Teaser: Getty Images: Kirstin Sinclair

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