Wachsen statt waxen: Achselhaare ja oder nein?
Madonna tut es, Julia Roberts ebenfalls und Miley Cyrus sowieso: die Rede ist vom Achselhaar, das diesen Sommer wieder fröhlich unter luftigen Sommerkleidern wächst und sich damit ganz bewusst einer Jahrzehnte alten westlichen Ästhetik widersetzt. Wieso wir unsere Achselhaare abrasieren – und warum das vielleicht gar nicht immer so gut ist.
Vergangenen Sommer ging es los: unter dem Hashtag #freeyourpits wurden auf Instagram Achselhöhlen von ihrem glattrasierten Dasein befreit. Daraufhin folgten Stars wie Madonna, die sich ganz selbstverständlich damit in der italienischen Männervogue ablichten liess und „Girls“ Darstellerin Jemima Kirke, die Achselhaar zum schicken roten Abendkleid von Rosie Assoulin auf dem roten Teppich trägt. Mittlerweile geht der Trend sogar soweit, dass man sich die Achselhaare bunt färbt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem schönen schimmelgrün unter den Armen oder ein glitzerndes Einhorn-Rosa passend zum neuen Bikini für den Sommer?
Denn das wichtigste an Trends ist doch: Sie sollen zeigen wie anders man ist, Tabus brechen und provozieren. Nach wassermelonen-großen Brüsten, Tattoos und Piercings an allen möglichen und unmöglichen Stellen und Körperidealen so dünn, dass man seine Kleider an den Hüftknochen aufhängen konnte, schockt heute wieder absolute Natürlichkeit: Achselhaare? Nicht doch! Wie eklig.
Der Ekel vor der eigenen Natur
Erinnert ihr euch noch an euren ersten Flaum unter den Achseln und das komische Gefühl, was man dabei hatte? Das war irgendso eine Mischung aus „yeah – endlich – werde – ich – erwachsen -Stolz“ und Scham. Was macht man denn nun mit diesen Achselhaaren? Kann man jetzt noch ärmellose Tops tragen oder wird man dann ausgelacht? Bevor das passieren konnte, haben wir sie lieber ganz schnell entfernt.
Rückblickend betrachtet und der Pubertät schon längst entkommen fragt man sich inzwischen zu Recht, wie man als noch halbes Kind auf die Idee kam, ohne groß darüber nachzudenken, einfach so zum Rasierer griff. Dabei hat uns niemand je beigebracht, dass unsere Körperbehaarung schädlich ist oder uns weh tun könnte.
Im Gegenteil: das ganze Rasieren und Waxen kann auf Dauer ganz schön schmerzlich werden und unter unter Umständen sogar zu Entzündungen führen.
Auch aus wissenschaftlicher – und ja, auch hygienischer Sicht – haben unsere Achselhaare eine wichtige Funktion zu erfüllen. Die Achselhöhlen beherbergen eine vermehrte Anzahl von Drüsen, die Schweiß und Talg absondern. Diese werden durch die Haare aufgenommen, verdunsten und kühlen an heißen Tagen so den Körper. Auch sollen die Haare bei der Entsendung von Pheromonen helfen.
Ähnlich wie Füße, Wimpern oder Fingernägel gehören sie also zu unserem Körper und dessen Funktionstüchtigkeit.
Der Grund, warum wir uns vor ihnen verwehren, ist ein anderer: Es gehört sich einfach so. Aber hat sich schonmal jemand gefragt, woher das eigentlich kommt, dass uns das Rasieren so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass wir nicht einmal mehr darüber nachdenken, warum wir es tun?
Der Wunsch nach makelloser Haut
Die Antwort ist simpel: Unsere Kultur und die Trends wollen es so. Ob da nun eine patriarchal geprägte Gesellschaft oder eine kapitalistische Industriegesellschaft dahintersteht, dieser Vermutung will ich gar nicht so weit nachgehen. Fakt ist, dass schon Cleopatra sich die Achseln rasierte, die alten Griechen historisch belegt Körperhaare „barbarisch“ fanden und im Islam die Rasur seit jeher zur Reinheitsvorgabe und Hygiene gehört. Und ja, auch in älteren Filmen sind viele Schauspielerinnen unter den Achseln rasiert.
Flächendeckend durchsetzen konnte sich der haarlos Trend schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Zeichen weiblicher Ästhetik schwappte er aus den USA in den Rest der Welt, ähnlich wie viele andere Trends auch. Und abgesehen von einigen Gegenbewegungen – vor allem in den 70er Jahren – hält dieser „Haarlos-Trend“ bis heute an und wird auch bei der männlichen Körperpflege immer beliebter.
Heutzutage hinterfragen wohl nur noch die wenigsten ihre wöchentliche Rasurpraxis oder sind – wie ich es ausdrücken würde – selbstreflektiert genug, sich auch unabhängig von den gängigen Normvorstellungen auf die Straße zu trauen.
Aber denken wir einmal andersherum: Sinken die Temperaturen bei uns, wird unter dicken Wollpullis und langen Hosen auch nicht mehr so oft rasiert wie im Hochsommer bei kurzen Röcken und Hosen. Rasieren wir uns also für uns selbst oder für unsere Umwelt? Oder rasieren wir uns, damit wir uns wohlfühlen, weil wir wissen das wir damit als „gesellschaftskonform“ wahrgenommen werden?
Warum #freeyourpits so wichtig ist
Genau um Fragen wie diese geht es bei #freeyourpits. Es bedeutet nicht, dass plötzlich alle Welt wieder nach einem Urwald unter den Achseln schreit. Aber mal abgesehen von der Geschmacksfrage und dem oberflächlichem Geplänkel hilft der Trend, festgefahrene Verhaltensmuster wieder zu hinterfragen. Denn dass wir uns alle einer ungeschriebenen Norm unterwerfen, bedeutet auch dass wir uns nach einem bestimmten sozialen Verhaltensmuster richten, damit wir nicht ausgegrenzt werden.
Und nein, das ist nicht per se schlecht. Es ist nur gut zu wissen.
Denn es ist wichtig dass Frauen – und auch Männer – sich darüber bewusst sind, dass sämtliche Entscheidungen, die ihre Person und ihren Körper betreffen, allein bei ihnen liegen. Ob man sich dann am Ende für oder gegen eine Rasur entscheidet ist nicht der springende Punkt. Denn erst die Selbstreflektion und die Erkenntnis darüber, warum man wie handelt, machen wirklich selbstbestimmt.
Bild: unsplash